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24. November 2025
Nils Behrens
Top-Health-Experte Nils Behrens über eine gefährliche Allianz: Forscher haben entdeckt, dass Amyloid und Fibrinogen gemeinsam das Gehirn weit stärker schädigen als allein – selbst in kleinsten Mengen
Manchmal ist es nicht das, was fehlt, sondern das, was sich falsch verbindet. Eine neue Studie der Rockefeller University zeigt, dass zwei Eiweiße – Amyloid-Beta und Fibrinogen – im Zusammenspiel eine verheerende Wirkung auf das Gehirn entfalten. In winzigen Mengen, die für sich genommen harmlos wären, führen sie gemeinsam zu massiven neuronalen Schäden – und beschleunigen damit Alzheimer-Prozesse deutlich.
Diese Erkenntnis bringt nicht nur ein neues Puzzlestück in das komplizierte Bild der Krankheit, sondern auch neue Hoffnung für Therapien, die frühzeitig ansetzen – lange bevor Gedächtnisverlust und kognitive Ausfälle sichtbar werden.
Amyloid-Beta (Aβ) und Tau-Proteine gelten seit Jahrzehnten als die zentralen „Tatverdächtigen“ der Alzheimer-Forschung. Doch die simple Formel „zu viel Amyloid – gleich Alzheimer“ greift zu kurz. Die Forscher um Prof. Sidney Strickland und Dr. Erin Norris zeigen nun, dass Amyloid-Beta 42, die besonders toxische Variante des Peptids, mit einem weiteren Protein eine gefährliche Allianz eingeht: Fibrinogen.
Fibrinogen ist eigentlich ein harmloser Bestandteil des Bluts. Es sorgt für die Blutgerinnung, indem es bei Verletzungen in Fibrin umgewandelt wird – eine Art körpereigenes Pflaster. Im Gehirn sollte es jedoch nichts zu suchen haben. Erst wenn die Blut-Hirn-Schranke, jene feine Schutzbarriere zwischen Kreislauf und Nervenzellen, durchlässig wird – wie es im Verlauf von Alzheimer häufig geschieht – gelangt Fibrinogen in Hirngewebe. Dort trifft es auf Amyloid-Beta. Und dieses Zusammentreffen hat fatale Folgen.
Um die Wirkung zu untersuchen, setzten die Forscher auf ein raffiniertes Modell: Sie verwendeten winzige Scheiben aus dem Hippocampus von Mäusen – dem Bereich, in dem Erinnerungen entstehen. Diese „organotypischen Hirnschnitte“ blieben am Leben und reagierten auf die Zugabe verschiedener Proteinmischungen.
Das Ergebnis war verblüffend: Weder Amyloid-Beta noch Fibrinogen allein verursachten bei niedrigen Konzentrationen sichtbare Schäden. Doch sobald beide Moleküle als Komplex zusammenwirkten, brachen synaptische Marker – die Messgröße für gesunde neuronale Kommunikation – massiv ein. Schon winzige Mengen des Duos führten zu demselben Schaden wie hohe Dosen von Amyloid allein.

Nils Behrens, Chief Brand Officer von Sunday Natural und Host des Podcasts HEALTHWISE
„Es braucht viel größere Mengen an Amyloid oder Fibrinogen allein, um ernsthafte neuronale Schäden zu verursachen“, erklärt Studienautorin Erin Norris. „Doch wenn beide sich verbinden, reichen kleinste Dosen, um gravierende Schäden auszulösen. Das ist eine Art toxische Synergie.“
Noch spannender: Blockierten die Forscher die Bindungsstelle, über die Amyloid an Fibrinogen andockt, verschwand der Effekt. Die Schädigung war also direkt auf den Komplex selbst zurückzuführen – nicht auf die bloße Anwesenheit beider Stoffe.
In weiteren Experimenten injizierten die Wissenschaftler die Protein-Komplexe direkt in das Gehirn lebender Mäuse. Auch hier zeigte sich das gleiche Muster: Mice, die die vorgeformten Amyloid-Fibrinogen-Komplexe erhielten, wiesen deutlich weniger synaptische Aktivität im Hippocampus auf – dem Zentrum des Lernens und Erinnerns.
Und es blieb nicht bei den Synapsen. Auch der zweite Alzheimer-Schlüsselspieler, das Tau-Protein, wurde in seiner pathologischen, phosphorylierten Form vermehrt gefunden – ein deutliches Signal für beginnende neurodegenerative Prozesse.
Gleichzeitig zeigten sich Anzeichen einer entzündlichen Überreaktion der Mikroglia – jener Immunzellen, die eigentlich das Gehirn schützen. Marker wie CD68 und GFAP stiegen deutlich an, sobald die Komplexe vorhanden waren. Zudem wurde die Blut-Hirn-Schranke weiter durchlässig, was wiederum mehr Fibrinogen und andere Blutproteine ins Gehirn ließ – ein Teufelskreis, der die Schädigung weiter verstärkte.
Die Forscher fanden im Hippocampus der betroffenen Tiere erhöhte Mengen an Fibrinogen und Albumin – beides Proteine, die normalerweise nicht im Gehirn vorkommen dürfen. Ihr Auftreten gilt als klares Zeichen für eine gestörte Blut-Hirn-Schranke.
„Wir konnten zeigen, dass der Amyloid-Fibrinogen-Komplex selbst die Barriere durchlässig macht“, sagt Elisa Nicoloso Simões-Pires, Mitautorin der Studie. „Das bedeutet: Was als Reaktion beginnt, wird zum Verstärker der Krankheit. Mehr Durchlässigkeit führt zu mehr Fibrinogen im Gehirn, was wiederum mehr Komplexe entstehen lässt – ein Kreislauf, der sich selbst antreibt.“
Lange galt Alzheimer als rein neuronale Erkrankung. Erst in den letzten Jahren zeichnet sich ein neues Bild ab: Auch das Gefäßsystem – die Mikrozirkulation und die Integrität der Blut-Hirn-Schranke – spielt eine zentrale Rolle.
„Erst durch neuere Forschung begannen viele, den vaskulären Beitrag zur Alzheimer-Pathogenese wirklich ernst zu nehmen“, sagt Norris. „Seit unseren ersten Ergebnissen beschäftigen wir uns genau mit diesem Mechanismus: Wie beeinflusst eine gestörte Gefäßfunktion den Verlauf der Erkrankung?“
Selbst in Mäusen, bei denen der bekannte Mikroglia-Rezeptor Mac-1 ausgeschaltet wurde – ein bisheriger Hauptweg für Fibrinogen-induzierte Entzündung – blieben die Schäden bestehen. Das zeigt: Der toxische Effekt der Amyloid-Fibrinogen-Komplexe folgt einem neuen, bislang unbekannten Mechanismus.
Die Studie öffnet ein neues Kapitel in der Alzheimer-Forschung. Sie legt nahe, dass eine frühe therapeutische Unterbrechung der Amyloid-Fibrinogen-Interaktion den Krankheitsverlauf abmildern könnte – vor allem in den Anfangsstadien, wenn Amyloid-Ablagerungen noch gering, vaskuläre Schäden jedoch bereits vorhanden sind.
Interessanterweise wirkt der Alzheimer-Wirkstoff Lecanemab, ein bereits zugelassenes Antikörpermedikament, auf genau diese Komplexe. Doch laut den Forschern ist das vermutlich nur der Anfang. Zukünftige Therapien könnten gezielter ansetzen und sowohl die Gefäßgesundheit als auch die neuronale Stabilität schützen.
„Natürlich würde die Hemmung dieser Bindung Alzheimer nicht heilen“, sagt Simões-Pires. „Aber sie könnte einige der schädlichsten Prozesse abmildern – und in Kombination mit anderen Ansätzen viel bewirken.“
Für die Longevity-Forschung ist diese Entdeckung hochrelevant. Denn sie zeigt, dass Langlebigkeit im Gehirn nicht nur eine Frage neuronaler Gesundheit ist – sondern auch der Gefäße, der Barrieren und des Entzündungsgleichgewichts. Wer sein Gehirn jung halten will, muss also auch auf Herz und Kreislauf achten.
Eine gesunde Blut-Hirn-Schranke, stabile Gefäße und niedrige Entzündungswerte sind nicht nur Alzheimer-Prävention, sondern echte Longevity-Faktoren. Sie erinnern daran, dass Langlebigkeit nie in einem Organ beginnt, sondern im Zusammenspiel aller Systeme – auch derer, die unsichtbar Grenzen ziehen zwischen Blut und Bewusstsein.
Nils Behrens ist der Chief Brand Officer von Sunday Natural und Host des Podcasts HEALTHWISE. Außerdem unterrichtet der gefragte Health-Experte als Dozent an der Hochschule Fresenius. Vorher arbeitete Behrens über 12 Jahre als Chief Marketing Officer der Lanserhof Gruppe und Gastgeber des erfolgreichen „Forever Young“-Podcasts.