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17. November 2025
Marianne Waldenfels
Geschlechtsangleichende Chirurgie verstehen: Interview mit Dr. Dr. Wolfgang Funk über Operationsmethoden, Altersgruppen, Risiken und warum 99% der Patienten zufrieden sind

Mit
Dr. Dr. med. Wolfgang Funk
Wieviele Patienten und Patientinnen wenden sich pro Jahr in etwa an Sie mit dem Wunsch, eine geschlechtsangleichende Operation durchführen zu lassen? Ist die Zahl gestiegen?
Pro Jahr melden sich etwa 130 Patientinnen und Patienten bei mir, von denen rund 110 operiert werden. Die Zahl ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Das liegt vor allem daran, dass das gesellschaftliche Umfeld heute wesentlich unterstützender ist. Viele Trans-Personen erhalten mehr Rückhalt durch Familie und Freunde und erfahren zudem mehr rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung. Dadurch trauen sich deutlich mehr Menschen, ihre Wünsche offen zu äußern und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Sind es mehr Männer oder mehr Frauen?
In meinem Bereich hält sich das nahezu die Waage. Das liegt daran, dass ich sehr viele gesichtschirurgische Maßnahmen durchführe, aber auch körperformende Operationen wie Brustaufbau, Brustreduktionen oder Körperkonturierungen.
Unterscheiden sich die Bedürfnisse von Trans-Männern und Trans-Frauen?
Ja, die Schwerpunkte sind unterschiedlich. Bei Trans-Frauen, also Menschen, die vom Mann zur Frau werden möchten, stehen häufiger Gesichtseingriffe im Vordergrund. Bei Trans-Männern sind körperliche Veränderungen oft ebenso relevant oder sogar dominierend.
Das hängt auch mit der Hormontherapie zusammen: Testosteron führt bei Trans-Männern zu ausgeprägten Veränderungen im Gesichtsbereich, wie stärkerem Haarwuchs, Haarausfall, einer dünneren Haut und einer deutlichen Reduktion des Unterhautfettgewebes – dadurch erscheint das Gesicht schnell männlicher. Östrogene hingegen bewirken bei Trans-Frauen im Gesicht deutlich geringere strukturelle Veränderungen, weshalb hier meist mehr operative Maßnahmen erforderlich sind.
Wie alt sind die Patienten und Patientinnen im Schnitt?
Eine klare Durchschnittszahl lässt sich nicht nennen, aber in den letzten Jahren kommen zunehmend jüngere Patientinnen und Patienten. Die ersten beginnen meist mit etwa 17 Jahren, wobei ich es grundsätzlich sinnvoll fände, wenn der Prozess noch früher beginnen könnte, da eine hormonelle Betreuung vor der Pubertät viele spätere chirurgische Eingriffe reduzieren würde.
Der größte Anteil liegt zwischen 20 und 35 Jahren, wobei 35 aus chirurgischer Sicht bereits eher spät ist – allerdings sind persönliche Lebensumstände oft ausschlaggebend. Darüber hinaus gibt es auch Patientinnen und Patienten bis über 60 Jahre. Viele von ihnen haben bereits Familien gegründet, Kinder großgezogen und ein ganz normales soziales Leben geführt, dabei aber nie ihr wirkliches Ich leben können. Sie holen das im höheren Alter nach. Nach der Operation sind diese Patientinnen und Patienten in der Regel deutlich stabiler, zufriedener und können ihre Identität endlich frei ausleben.
Was beinhaltet die OP Mann zu Frau und wie lange dauert sie in der Regel?
Diese Operation ist sehr komplex und umfasst mehrere strukturelle Bereiche des Gesichts:
1. Adamsapfel – die deutliche Schildknorpelprominenz wird reduziert, da sie ein stark männliches Merkmal darstellt.
2. Unterkiefer und Kinn – männliche Unterkiefer sind kantiger und breiter; das Kinn oft ausgeprägter. Diese Bereiche werden entsprechend harmonisiert.
3. Mittelgesicht – beim Mann ist es häufig abgeflacht und wird daher aufgebaut oder konturiert.
4. Oberlippe – sie ist oft zu lang und wird feminisiert.
5. Nase – männliche Nasenstrukturen sind meist größer und markanter und werden entsprechend verfeinert.
6. Orbita (Augenhöhle) – die männliche Orbita ist kleiner; hier kann eine Vergrößerung notwendig sein.
7. Stirn und Orbitakomplex – besonders wichtig ist die Veränderung des oberen Augendachs und des Stirnbeins. Dazu gehört oft die Verödung oder Verlagerung des Sinus frontalis sowie eine deutliche Reduktion des frontonasalen Übergangs. Auch der gesamte frontale Schädelbereich kann je nach Wunsch neu konturiert werden.
8. Weichteile des Stirnbereichs – diese werden individuell angepasst, um ein weicheres, feminines Erscheinungsbild zu erzielen.
9. Haaransatz – er wird verlagert, Geheimratsecken werden reduziert oder vollständig geschlossen, sodass ein runder weiblicher Haaransatz entsteht und nicht das männliche M.
Sie sehen: Es handelt sich um ein sehr komplexes Zusammenspiel aus knöchernen, funktionellen und ästhetischen Veränderungen, die gemeinsam das weibliche Erscheinungsbild formen.
Wie unterscheiden sich die chirurgischen Maßnahmen zwischen der Frau-zu-Mann- und der Mann-zu-Frau-Transition – insbesondere im Gesichts- und Körperbereich?
Bei der Mann-zu-Frau-Transition liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Feminisierung des Gesichts, da weibliche Gesichtszüge chirurgisch häufig stärker nachgeformt werden müssen als männliche. Bei der Frau-zu-Mann-Transition ist es umgekehrt: Hier bedarf das Gesicht oft umfangreicherer struktureller Veränderungen, um eine klar männliche Anatomie zu erreichen.
Im Gesicht werden bei der Frau-zu-Mann-Operation in der Regel markantere Konturen aufgebaut oder verstärkt. Dazu gehören eine ausgeprägtere Augenbrauenregion, eine stärkere Jochbeinstruktur, ein abgeflachtes Mittelgesicht, eine etwas dominantere Nasenform sowie ein kräftigeres Kinn. Diese Veränderungen erfolgen meist durch Implantate oder durch knöcherne Vorverlagerungen. Der Ansatz ist also grundsätzlich ein anderer als bei der Feminisierungsoperation – allerdings wird diese Art der Operation insgesamt seltener nachgefragt.
Im Körperbereich hingegen ist die Situation umgekehrt. Bei der Frau, die Mann werden möchte, steht häufig die Reduktion der Brust im Vordergrund, kombiniert mit einer Anpassung der Hüft- und Beckenform. Auch eine Konturierung des Gesäßes ist möglich, beispielsweise durch Eigenfetttransplantationen, um eine männlichere Poform zu erzielen.
Die Ausprägung der körperlichen Maßnahmen ist sehr individuell und hängt maßgeblich von der Hormontherapie ab. Durch Testosteron haben viele Trans-Männer bereits deutliche körperliche Veränderungen erfahren, wodurch teilweise nur kleinere Korrekturen notwendig sind. In anderen Fällen sind umfassendere Umformungen erforderlich.
Was sind die größten Herausforderungen und Risiken bei diesen OPs?
Die Herausforderungen sind sehr vielschichtig. Natürlich spielt die technische Durchführung eine große Rolle, aber bei einem erfahrenen Operateur setze ich voraus, dass das gesamte chirurgische Spektrum sicher beherrscht wird. Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, den individuellen Wunsch des Patienten exakt zu erfassen und nicht nur technisch einwandfrei zu operieren, sondern auch den gewünschten feminisierenden oder maskulinisierenden Effekt zu erzielen.
Es macht mich oft traurig, wenn ich Patientinnen oder Patienten sehe, die bereits operiert wurden, handwerklich gut, aber dennoch ohne das gewünschte geschlechtstypische Erscheinungsbild. Hier kommt der künstlerische Anteil des Operateurs ins Spiel.
Ich vergleiche es gern so: Gibt man zehn hervorragend ausgebildeten Malern dieselbe Leinwand, dieselben Farben und dieselben Pinsel, entstehen trotzdem zehn verschiedene Bilder. Jeder Chirurg hat eine eigene Vorstellung von Ästhetik – und davon hängt die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten wesentlich ab. Diese künstlerische Interpretation ist eine der größten Herausforderungen in diesem Bereich, verbunden mit der Bereitschaft zur ständigen Selbstkritik.
Werden die Patienten auch psychologisch begleitet?
Ja. Die Transition basiert auf drei Grundpfeilern: an erster Stelle steht die psychologische Betreuung, danach folgt die Hormontherapie, und erst im dritten Schritt kommen die chirurgischen Maßnahmen. Die Patientinnen und Patienten werden über den gesamten Transitionsprozess begleitet oder können sich begleiten lassen. Manche entscheiden sich bewusst dagegen, aber grundsätzlich steht immer ein professionelles therapeutisches Team zur Verfügung.
Ist eine Geschlechtsumwandlung eigentlich umkehrbar?
Wir hoffen, dass eine Rückoperation nicht notwendig wird. Dennoch gibt es einen kleinen Prozentsatz von etwa 1 %, bei dem sich im Nachhinein eine Fehleinschätzung zeigt. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass wir bei 99 % der Patientinnen und Patienten eine sehr hohe Zufriedenheit erreichen – eine Quote, die in der Medizin nahezu einmalig ist.
Grundsätzlich lassen sich nahezu alle operativen Schritte wieder rückgängig machen, allerdings wird der Körper dadurch nie in den ursprünglichen, nicht-operierten Zustand zurückgeführt. Ein wiederaufgebauter Penis bleibt ein rekonstruiertes Organ, eine nachoperierte Brust bleibt eine operierte Brust. Am besten lassen sich Veränderungen im Gesicht wieder angleichen, sowohl in männliche als auch weibliche Richtung.
Unser Ziel ist es jedoch keinesfalls, Rückoperationen notwendig zu machen. Deshalb müssen Diagnostik, Indikationsstellung und psychologische Begleitung so präzise wie möglich sein. Mit einer Zufriedenheitsquote von 99 % können wir insgesamt sehr verantwortungsvoll und erfolgreich arbeiten.
Warum haben Sie sich auf geschlechtsangleichende Operationen spezialisiert?
Diese Spezialisierung war das Ergebnis eines langen, vielschichtigen Entwicklungsprozesses. Mein erster Kontakt zu transidenten Menschen entstand bereits in den 1980er-Jahren, als ich eine der ersten Transgender-Patientinnen in Deutschland betreute. Ihre Offenheit, ihre Schwierigkeiten, überhaupt kompetente medizinische Ansprechpartner zu finden, und ihr jahrelanger Kampf um Anerkennung haben mich nachhaltig beeindruckt und mein Interesse an diesem Bereich geweckt.
Parallel dazu habe ich eine Doppelqualifikation erworben – in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie in der plastischen und ästhetischen Chirurgie. Diese Kombination ist für die geschlechtsangleichende Chirurgie zentral, da sie sowohl präzise knöcherne Veränderungen als auch anspruchsvolle Weichteilkorrekturen ermöglicht. Dabei geht es nicht allein um medizinische Parameter, sondern stets auch um ein künstlerisches Verständnis für Form, Proportion und Ausdruck.
Meine langjährige Tätigkeit in der ästhetischen Gesichtschirurgie, insbesondere der Faceliftchirurgie, hat diese Fähigkeiten weiter vertieft. Zudem hatte ich das Privileg, von exzellenten Lehrern unterstützt zu werden, die mich umfassend in die spezifischen medizinischen und psychosozialen Aspekte der Transgender-Medizin eingeführt haben.
Mit der Zeit wuchs die Nachfrage: Trans-Personen fanden über meinen beruflichen Hintergrund und meine Doppelqualifikation zu mir – zunächst vereinzelt, später kontinuierlich. Die hohe Zufriedenheit meiner Patientinnen und Patienten war für mich eine starke Motivation, diesen Schwerpunkt weiter auszubauen.
Mein persönliches Anliegen ist es, die Vorstellungen meiner Patientinnen und Patienten so präzise wie möglich umzusetzen. Natürlich unterscheiden sich die anatomischen Ausgangssituationen – insbesondere nach Abschluss der Pubertät – teilweise erheblich. Dennoch lässt sich durch die Kombination aus knöchernen und weichteilbezogenen Maßnahmen meist ein Ergebnis erzielen, das dem gewünschten Geschlecht sehr nahekommt.
Heute ist die geschlechtsangleichende Chirurgie ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit. Mein Ziel ist es, meinen Patientinnen und Patienten sowohl medizinisch als auch menschlich auf höchstem Niveau gerecht zu werden.“
Seit wann sind Sie in diesem Bereich tätig?
Aktiv bin ich seit ungefähr 25 Jahren in diesem Bereich tätig. In dieser Zeit habe ich in meiner eigenen Klinik, der Klinik Dr. Funk, meine ersten Transgender-Patientinnen und -Patienten operiert.
Passiv und ausbildungstechnisch beschäftige ich mich jedoch bereits seit etwa 35 Jahren mit der geschlechtsangleichenden Chirurgie. In dieser Zeit habe ich begonnen, mich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen, erste Patientinnen zu begleiten und mir das umfassende chirurgische Wissen anzueignen, das für diesen Bereich notwendig ist.