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4. Juni 2025
Marianne von Waldenfels
So unbeschreibbar wie wohltuend: Umami bedeutet so viel wie „einfach köstlich“ und gilt neben süß, sauer, salzig und bitter als fünfte Geschmacksqualität
Reisen eröffnet neue Horizonte, heißt es. Manchmal tun sich dabei vollkommen neue Welten auf – so geschehen im Fall von Kikunae Ikeda. Ein Studienaufenthalt führte den Japaner 1899 für zwei Jahre nach Europa an die Universität Leipzig. Dort probierte der Chemiestudent zum ersten Mal in seinem Leben Spargel, Tomaten und reifen Käse. Da keines der Lebensmittel süß, sauer, salzig oder bitter schmeckte, kam er zu dem Schluss, dass es neben den vier bekannten Geschmacksrichtungen noch eine fünfte geben müsse. Nach seiner Rückkehr nach Japan begann er, nach wissenschaftlichen Beweisen für seine These zu suchen.
Offiziell entdeckte Ikeda den fünften Geschmackssinn im Frühjahr 1907, nachdem seine Frau Algen mit nach Hause gebracht hatte, die in Japan traditionell für die Dashi-Brühe verwendet werden. Beim Probieren bemerkte er auf einmal den gleichen einzigartigen Geschmack, den er in den für ihn völlig neuen Lebensmitteln in Deutschland entdeckt hatte. Ikeda führte im Labor der Universität diverse Experimente mit der „Laminaria japonica“-Alge durch, um den Grund für die besondere Würzigkeit herauszufinden. Dabei isolierte er die Aminosäure Glutaminsäure und schloss daraus, dass diese für den aromatischen Geschmack verantwortlich sei.
Er nannte ihn „Umami“, was wörtlich übersetzt „einfach köstlich“ bedeutet. Es sollte allerdings danach noch beinahe ein Jahrhundert dauern, bis wissenschaftlich anerkannt wurde, dass es nicht vier, sondern fünf Geschmacksrichtungen gibt. Denn erst im Jahr 2000 entdeckte ein Team von Neurowissenschaftlern der University of Miami die Geschmacksrezeptoren TAS1R1 und TAS1R3 auf der Zunge – die dazugehörigen Sinneszellen für Umami. Die Forscher bewiesen damit, dass Umami wirklich existiert – und von dem Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat (MNG) ausgelöst wird.
Einen großen Anteil daran, dass Umami – in der japanischen Küche oft als „der Geschmack des Glücks“ be- zeichnet – heute auch in Europa oder Amerika ein geläufiger Begriff ist, hat Dr. Kumiko Ninomiya. Die Biochemikerin arbeitet seit 1982 für das Umami Information Center. „Nachdem die Studie der Wissenschaftler aus Miami 2002 in der Zeitschrift Nature Neuroscience vorgestellt wurde, berichteten die britischen Medien darüber,“ erzählt die Japanerin. „Anschließend verbreitete sich die Geschichte innerhalb von drei bis vier Tagen in Europa, den Vereinigten Staaten und verschiedenen asiatischen Ländern. Dieses Ereignis führte zur Anerkennung des Begriffs Umami auch in akademischen Kreisen, unter Forschern, Köchen und Ernährungsberatern.
Zuvor glaubten viele Menschen, dass Umami ein Geschmack sei, der nur in der japanischen Küche vorkommt oder nicht zu den Grundgeschmacksrichtungen gehört.“ Der berühmte Koch und Inhaber der Nobu-Kette, Nobuyuki Matsuhisa – bekannt als Nobu –, gilt als einer der Umami-Pioniere am Herd. „Bei der Verwendung von Umami in der Küche achte ich immer darauf, ein Gleichgewicht mit den anderen vier Geschmacksrichtungen zu wahren. Die ausgewogene Kombination von Umami verleiht den Aromen eine abgerundete Qualität“, sagt der Spitzenkoch. Er hat Ninomiya auch den Spitznamen „Umami Mama“ verliehen. „Wir haben uns 2004 kennen gelernt“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Daraufhin haben wir gemeinsam eine Reihe von Sake- und Umami-Verkostungen organisiert. Eines Abends stellte er mich plötzlich als Umami Mama vor.“
Das Besondere an Umami beschreibt sie so: „Es hält länger an als die anderen Geschmäcker, gibt mehr Tiefe. Umami bleibt länger auf der Zunge und fördert den Speichelfluss. Es ist, als würde einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Außerdem wird Umami auf der gesamten Oberfläche der Zunge wahrgenommen.“ Außer Glutamat sind allerdings noch zwei Stoffe wichtig für Umami: Guanylat und Inosinat. Biochemisch sind sie Nukleotide und verstärken jeweils den Umami-Geschmack von Glutamat um das Vielfache. Dies wird als synergetischer Effekt von Umami bezeichnet.
„Obwohl die japanische Küche den Begriff kodifiziert hat, verstehen Köche aus allen Kulturen die Ausgewogenheit und Tiefe, die er einem Gericht verleiht“, erklärt Thomas Keller, Inhaber und Chefkoch des legendären Restaurants „The French Laundry“ in Kalifornien. Die fünfte Geschmacksrichtung spielt heute auch in den Küchen von Sterneköchen wie Heston Blumenthal („The Fat Duck“), Alexandre Bourdas („SaQua Na“) oder Tohru Nakamura („Tohru“) eine tragende Rolle. Der Umami-Effekt steckt ganz offen zugegeben hinter vielen ihrer ausgeklügelten Geschmacksfeuerwerke.
Während industriell erzeugtes Glutamat zu Recht einen schlechten Ruf hat und bei empfindlichen Menschen Kopfschmerzen und Übelkeit auslösen kann, entfaltet das in natürlichen Lebensmitteln enthaltene Glutamat normalerweise keine schädliche Wirkung. Ist Umami also gesund oder ungesund? Dr. Ninomiya: „Wenn genügend Umami-Stoffe wie Glutamat, Inosinat oder Guanylat in den Gerichten vorhanden sind, kann man Salz reduzieren. Einige Studien haben gezeigt, dass es möglich ist, 30 bis 40 Prozent Salz zu reduzieren durch die Verwendung von umami-reichen Zutaten.“