© Adobe Stock
1. September 2025
Dr. Andrea Gartenbach
Dr. Andrea Gartenbach ist Fachärztin für Innere- und Funktionelle Medizin, Expertin für Longevity und ehemalige Leistungssportlerin. In ihrer aktuellen Kolumne für Premium Medical Circle spricht sie drüber, wie Krebs-Vorsorgeuntersuchungen Leben retten und welche neuen Diagnostik-Methoden es gibt
Krebs steht in Deutschland insgesamt an zweiter Stelle der Todesursachen. In der Europäischen Union war er 2022 bei den unter 65-Jährigen die häufigste Todesursache bei Frauen und die zweithäufigste bei Männern. In jedem Lebensjahrzehnt zählt er damit zu den häufigsten Ursachen für vorzeitige Sterblichkeit. Der Zeitpunkt der Diagnose beeinflusst die Heilungschancen dramatisch.
Brustkrebs beispielsweise hat im Stadium I eine Heilungsrate von über 90 Prozent, in fortgeschrittenen Stadien sinkt sie auf deutlich unter 30 Prozent. Lungenkrebs wird bei früher Entdeckung in rund 60 Prozent der Fälle erfolgreich behandelt, im Spätstadium überleben weniger als zehn Prozent der Betroffenen. Beim Bauchspeicheldrüsenkrebs liegt die Fünfjahresüberlebensrate bei einer frühzeitigen Diagnose bei rund 38 Prozent, in späten Stadien aber nur bei etwa drei Prozent.
Trotz moderner Therapien haben sich die Heilungschancen bei späterer Krebsdiagnose noch nicht signifikant verbessert. Deshalb ist eine durchdachte und individuell angepasste Früherkennungsstrategie unerlässlich.
Die bestehenden gesetzlichen Früherkennungsprogramme sind klar strukturiert, evidenzbasiert und für alle Versicherten kostenfrei. Sie decken jedoch nur ausgewählte Krebsarten ab. Für Gebärmutterhalskrebs gibt es ab dem 20. Lebensjahr eine jährliche Untersuchung, ab 35 Jahren kombiniert mit einem HPV-Test alle drei Jahre. HPV steht für Humane Papillomviren, die Gebärmutterhalskrebs verursachen können.
Brustkrebs wird ab dem 30. Lebensjahr jährlich durch Abtasten kontrolliert, zwischen 50 und 75 Jahren zusätzlich alle zwei Jahre per Mammographie. Hautkrebs wird ab dem 35. Lebensjahr alle zwei Jahre durch einen Hautcheck untersucht. Darmkrebs-Screening beginnt ab dem 50. Lebensjahr mit einem jährlichen FIT-Test, der Blut im Stuhl nachweist, oder einer Koloskopie (Wiederholung nach zehn Jahren bei unauffälligem Befund).
Prostatakrebs wird ab dem 45. Lebensjahr jährlich durch eine Tastuntersuchung erfasst, ein PSA-Test erfolgt nach individueller Entscheidung.
Diese Vorsorgeprogramme sind wichtig und hilfreich, erreichen aber bei weitem nicht alle Krebsarten. Für Bauchspeicheldrüse, Eierstock, Leber oder Speiseröhre gibt es beispielsweise keine regulären Kassen-Screenings, da diese Krebsarten seltener auftreten oder derzeit keine flächendeckend validierten Früherkennungsmethoden existieren.
Zudem erfasst kein einzelner Test jedes Tumorstadium sicher. Beispiel Darmkrebs: Der FIT-Test weist Blut nach, entdeckt aber nicht zwingend Gewebeveränderungen, die ohne Blutung auftreten.
Deswegen sind moderne, weitere Diagnostikmethoden zu den Standardmethoden unerlässlich. Die sinnvollste Strategie ist das „Stacking“: mehrere Tests werden kombiniert, um die Stärken zu addieren und Schwächen auszugleichen, zum Beispiel ein bildgebendes Verfahren wie MRT zusammen mit einer Liquid Biopsy.
Krebsfrüherkennung ist kein einzelner isolierter Test, sondern ein medizinischer Prozess. Ein auffälliger Befund muss in den Kontext der individuellen Risikofaktoren gestellt werden. Ärztliche Begleitung sorgt dafür, dass keine unnötigen Eingriffe erfolgen, wichtige Untersuchungen nicht verpasst werden und jede Entscheidung in Kenntnis der Chancen und Risiken getroffen wird.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Patient, 62 Jahre alt, ehemaliger starker Raucher, wollte sein Lungenkrebsrisiko realistisch einschätzen lassen. In Anbetracht seiner Vorgeschichte entschieden wir, ein jährliches Low-Dose-CT der Lunge durchzuführen. Dabei handelt es sich um eine strahlungsarme Computertomografie, die feine Gewebeveränderungen in der Lunge sichtbar machen kann.
Ergänzend führten wir eine Liquid Biopsy durch. Bereits beim ersten CT zeigte sich ein kleiner Schatten im rechten Oberlappen. Die ergänzende Liquid Biopsy war unauffällig. In den folgenden Monaten blieb der Befund stabil, sodass wir von einer gutartigen Veränderung ausgingen. Für den Patienten bedeutete das nicht nur medizinische Sicherheit, sondern auch die Gewissheit, dass wir Veränderungen frühzeitig erkennen und unnötige Eingriffe vermeiden.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Früherkennung ist ein Bausteinsystem. Wir setzen auf das Stacking-Prinzip: Mehrere Verfahren werden kombiniert, um die Stärken zu addieren und die Schwächen einzelner Methoden zu minimieren. Entscheidend ist, Sensitivität (wie gut ein Test tatsächlich Kranke erkennt) und Spezifität (wie gut er Gesunde nicht fälschlich als krank einstuft) im Kontext des individuellen Risikos zu betrachten. Ein positives Testergebnis muss immer mit einer klaren Strategie verbunden sein: Screening ist nur sinnvoll, wenn im Ernstfall eine Behandlung gewünscht und möglich ist.
Früherkennung ist zwar keine Garantie für Heilung, bietet aber große Chancen. Hier ist Angriff die beste Verteidigung. Und: Nicht jeder entdeckte Tumor ist lebensbedrohlich. Manche wachsen so langsam, dass sie nie Beschwerden verursachen würden. Tests mit hoher Sensitivität können zu Fehlalarmen führen, die psychisch und medizinisch belastend sind. Durch kluge vorherige Abwägung lassen sich diese Fehlalarme aber stark dezimieren.
Wir haben heute mehr Möglichkeiten denn je, Krebs in einem heilbaren Stadium zu entdecken. Wer die etablierten Programme nutzt, die Diagnostik seinem individuellen Risikoprofil anpasst, geeignete Methoden kombiniert und diese durch einen kompetenten Arzt fachgerecht einordnen lässt, verbessert seine Chancen auf viele gesunde Lebensjahre erheblich.
In der Longevity-Medizin bedeutet das nicht nur, Krankheiten zu verhindern, sondern Gesundheit strategisch zu gestalten: proaktiv, vorausschauend und wissenschaftlich fundiert. Als Ärztin für präventive und personalisierte Medizin sehe ich meine Aufgabe darin, für jeden Patienten ein individuelles, hochpräzises Gesundheitsmanagement zu entwickeln. Das Ziel: Gesundheit langfristig zu sichern!