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25. November 2025
Marianne Waldenfels
"Hacking Age"-Autor Dr. med Felix Bertram verrät: Warum Supplements allein nichts bringen und welche 3 Säulen wirklich für Langlebigkeit sorgen. Plus: Seine Eiweiß- und Schlaf-Strategie
Gründer, Unternehmer, Inhaber mehrerer Kliniken, Arzt, „Höhle der Löwen“-Investor in der Schweiz, Besitzer eines 2-Sterne-Restaurants - und jetzt auch noch Buchautor. Der Dermatologe Dr. med. Felix Bertram hat mit „Hacking Age“ auch über seine eigene Gesundheitsgeschichte geschrieben. Denn als sich Bertram, der mit 19 Jahren bei einem Motorradunfall ein Bein verlor, im Alter von 49 Jahren einem medizinischen Test unterzog, wurde ihm ein biologisches Alter von 74 Jahren attestiert. Ein Schock. Im Interview spricht er darüber, wie er auf Grund dieser Diagnose sein Leben verändert hat. Er befasste sich unter anderem intensiv mit Longevity-Forschung.
Ihr Buch heißt „Hacking Age“ – wie genau hacken Sie Ihr Leben?
Wir wollen ja ein Leben führen, dass es auch Wert ist, lange gelebt zu werden. Ein glückliches, gesundes und erfülltes Leben. Und um das zu erreichen, fokussiere ich mich auf drei Säulen: Gesundheit, Beziehungen und Purpose. Purpose ist für viele der Beruf oder die Karriere, kann aber auch was anderes sein wie Kinder, Sport oder eine ehrenamtliche Aufgabe.
Wenn man diese drei Bereiche – Gesundheit, Beziehungen und Purpose – in Balance bringt, tut man nicht nur das Beste für ein erfülltes Leben im Hier und Jetzt, sondern auch das Richtige um „Age zu hacken“, also das Altern zu verlangsamen.
Mit 49 Jahren haben Sie erfahren, dass Ihr biologisches Alter bei 74 Jahren lag. Was haben Sie seitdem geändert?
Ich hab erstmal versucht alles zu messen und mit Supplements und Medikamenten zu lösen. Ähnlich wie Brian Johnson, der US Tech-Millionär. Es hat sich an meinen Werten nichts verändert – sie blieben gleich schlecht. Erst als ich diese drei Dinge in meinem Leben ernst genommen habe, haben sich alle Werte bis heute im Durchschnitt im 30% verbessert:
1. Sport. Hier mit Fokus auf Ausdauer (Vo2max), Muskelkraft - aber auch Muskelmasse.
2. Schlaf und Stressresilienz. Schlaf hat eine so wichtige Funktion, es ist wie ein Software-Update des Körpers über Nacht.
3. Ernährung. Mit Fokus auf Eiweiß und Ballaststoffen. Eiweiß, weil es der wichtigste Baustein für unsere Muskeln ist. Und Muskeln aus diversen Gründen im Alter ganz entscheidend sind. Einerseits hilft Kraft und Stabilität, Stürze zu verhindern, beides ist aber auch wichtig, um am Leben teilzunehmen und unabhängig zu sein: Tragen, Laufen, Treppensteigen.
Muskeln sind echte Longevity-Wunderwaffen. Sie regulieren außerdem den Zuckerstoffwechsel und Entzündungen, spielen zudem eine wichtige Funktion im Metabolismus und sind eine entscheidende Reserve – sozusagen eine Ersatzbatterie – falls wir mal im Alter krank werden und von der „Substanz“ leben müssen.
Aber Achtung: Eiweiß kann zudem nicht gut gespeichert werden. Zwar wird es in Muskeln umgewandelt, aber Muskeln werden auch schnell wieder abgebaut, wenn die Eiweiß-Zufuhr nachlässt.
Ballaststoffe – in Form von bunten Salaten, fermentiertem Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchte – sind essentiell für unsere Darmgesundheit. 70% unseres Immunsystems ist um den Darm lokalisiert - (GALT, heisst der Fachbegriff). Die Immunzellen stehen in ständigem Austausch mit den Metaboliten, die im Darm durch das Microbiom erzeugt werden.
Ballaststoffe sorgen dafür, dass die Darmwand „dicht“ bleibt und nicht die falschen Metaboliten mit dem Immunsystem in Kontakt kommen und „Alarm“ auslösen. „Alarm“ könnte zu chronischen Entzündungen führen und die Entwicklung chronischer Erkrankungen fördern.
Wieviel Eiweiß nehmen Sie pro Tag zu sich?
Mindestens 1,5 gr Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht. Und da der Körper pro Mahlzeit nur ca 35 - 40 gr verarbeiten kann, teile ich meinen Eiweiß-Bedarf auf vier Mahlzeiten pro Tag auf.
Eiweiß kann auch problemlos aus rein pflanzlichen Quellen kommen, ich muss nur darauf achten, dass ich ausreichend Variabilität in meinen Eiweiß-Quellen haben, um alle essentiellen Aminosäuren zu mir zu nehmen.
Gibt es Lebensmittel, auf die Sie gänzlich verzichten?
Ich bin nicht dogmatisch. Aber Alkohol trinke ich selten, Convenience-Food esse ich selten, Weissmehl minimal und Zucker vermeide ich so gut es geht. Aber eben, dass Leben ist auch zum Leben da und Essen ist Beziehungspflege und Liebe. Daher esse ich im Sommer auch mal ein Eis oder trinke mit Freuden abends ein paar Bier. Der Körper liebt Muster. Und wenn das Muster grundsätzlich „gesunde Ernährung“ ist, dann wird ein gelegentlicher Ausreißer vom Körper fast ignoriert.
Was halten Sie von Superfoods wie Chiasamen oder Acaibeeren?
Da halte ich gar nichts von. Der Mensch sucht immer nach diesem einen „Hack“, das eine Superfood. Das gibt es nicht. Eine ausgewogener Ernährung ist immer noch das Maß aller Dinge, bestehend aus Eiweiß, Balaststoffen, komplexen Kohlenhydrate und gesunden Fetten.
Welche Supplements nehmen Sie?
Ich teile das mal in zwei Segmente auf. 1. Diejenigen, die in meinen Augen jeder unbedenklich nehmen kann und 2. Diejenigen, die sehr individualisiert sind.
Sie litten jahrelang unter Schlafstörungen, mussten Schlafmittel nehmen. Wie haben Sie gelernt, wieder besser und tiefer zu schlafen?
Der Körper liebt Muster – auch beim Schlaf. Das richtige Verhalten sollte unbedingt vor Supplements vorgezogen werden.
Ich versuche gegen ca 20 Uhr oder 21 Uhr zu Hause zu sein. Ab 19 Uhr esse ich nichts mehr und verzichte auf Alkohol. Ich versuche dann, zuhause nichts mehr Aufregendes zu machen - keine Filme, keine eEmails, kein Sport. Sauna hingegen ist super, es fördert nicht nur den Schlaf, sondern ist eine der wenigen gute erforschten Longevity-Booster.
Der Kopf muss runterfahren, das Cortisol ebenso. Melatonin hingegen sollte langsam ansteigen, dass ist wichtig für den Übergang vom Tag zur Nacht und für einen guten Schlaf. Ich schalte das Deckenlicht aus und nutze nur noch indirekte Beleuchtung vom Boden oder der Seite. Deckenlicht signalisiert den Rezeptoren in den Augen, dass die „Sonne“ von oben scheint und das es Tag ist.
Kommt kein Licht mehr von oben, weiß die innere Uhr, dass die Nacht anbricht. Dann versuche ich konstant um 22 Uhr ins Bett zu gehen. Ob 22 Uhr oder 23 Uhr ist nicht so relevant, wichtig ist – nach Möglichkeit - immer zur selben Zeit ins Bett zu gehen und auch zur selben Zeit wieder aufzuwachen. Das Zimmer, in dem ich schlafe, sollte zudem dunkel und kühl sein. Das ist schon die ganze Zauberei, damit schlafe ich gut. Wer so nicht in den Schlaf findet, kann über folgende Supplements nachdenken: 3 gr Glycin, Magnesium L-Threonat oder L-Theanine.
Wie wichtig ist Bewegung und wie konnten Sie sich zu festen Sportroutinen motivieren?
Bewegung und Sport ist der grösste Hebel, wenn wir von Longevity reden. Über Muskeln und deren Bedeutung haben ich ausführlich gesprochen, Ausdauer ist aber fast noch wichtiger. Ausdauer wird über die Vo2max gemessen, also der Fähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems und der Lungen innerhalb 1 Minute das maximale Volumen an Sauerstoff in die Organe zu transportieren.
Ausdauersport hat so viele Vorteile, man kann sie fast nicht alle aufzählen. Herzgesundheit, metabolische Gesundheit, Zellenergie usw. Die Mortalität jeglicher Ursache – also die Wahrscheinlichkeit, an irgendeiner der grossen Volkskrankheiten zu versterben – unterscheidet sich um den Faktor 400% zwischen einer Person mit einem Vo2Max aus dem oberen Viertel vs einer Person mit einem Vo2max im unteren Viertel der Ausdauer-Skala. Jetzt aber dazu, wie man Sport in den Alltag integrieren kann, mit Freude, weil ich der Meinung bin, dass wir nur etwas langfristig durchhalten, was Spass macht.
Erstens: alles über Null kummuliert, wie beim Geld anlegen mit Zinseszins-Effekt. Auch kleine Massnahmen summieren sich auf dem „Gesundheitskonto“ über die Zeit. Wer täglich 7000 Schritte schafft, reduziert sein allgemeines Sterberisiko bereits um 40%.
Ich empfehle deshalb, sich einen Sport zu suchen, der Spass macht. Das kann etwas mit dem Partner sein (Tennis-Doppel) oder gegen den Partner (Tennis-Einzel). Eine Mannschaftssportart, etwas mit Musik wie Tanzen, etwas in der Natur, Hauptsache es macht Spass. Für mich ist das Rennradfahren, dazu muss mich niemand motivieren.
Krafttraining fällt mir schwerer, weil ich es langweilig finde. Mit diesen beiden Tricks schaffe ich es dennoch: Zu erst einmal eine Gewohnheit etablieren, indem ich z.B. dreimal pro Woche für nur fünf Minuten ins Gym gehe. Wenn ich das über 8 - 12 Wochen mache, ist eine Gewohnheit etabliert, wie Zähneputzen.
Das ist der erste Step. Anschließend sollte man Krafttraining mit etwas Positivem verbinden. Ich hab mir zum Beispiel erlaubt, meinen Lieblingspodcast nur im Gym zu hören. Jetzt freue ich mich auf das Gym, weil ich endlich meinen Podcast hören darf.
Und wie wichtig ist die Psyche für die Langlebigkeit?
Ganz entscheidend ! Deshalb bin ich auch so überzeugt, dass Beziehungen und Purpose eine grosse Rolle spielen, wenn wir über Longevity sprechen. Bei Menschen in guten und stabilen Beziehungen weiss man zum Beispiel, dass sie eine 50% bessere Lebenserwartung haben. Eine gesunde Psyche und gesunder Geist sind in meinen Augen noch zu unterschätzt. Sie spielen sehr sicher eine absolute Schlüsselrolle, sowohl für ein langes Leben, aber auch für ein erfülltes, neugieriges und glückliches Leben im Hier und Jetzt.
Wie schaffen Sie es, nicht in alte Muster zurückzufallen?
Dass ist natürlich nicht immer einfach. Und ich verzeihe mir auch, wenn es mal passiert. Ich hab aber grundsätzlich eine Jokerregel: einen Tag darf ich alles mal ausfallen lassen: Bewegung oder auch gesundes Essen, aber niemals 2 Tage hintereinander, weil dann einen neue Gewohnheit beginnt.
Was tun Sie heute, wenn Sie merken, dass Sie über einen längeren Zeitraum gestresst sind? Wie entspannen Sie sich?
Unser Leben und unser Körper funktioniert in Zyklen: Ich bin wach, muss aber auch schlafen. Ich esse, muss aber auch verdauen. Wer Sport macht, weiss wie wichtig Regeneration ist.
Auch unser Nervensystem kennt diesen Rhythmus. Nennen wir ihn „Gas“ und „Bremse“. Gas ist der Sympathikus, der Aktivitäts-und Stressnerv. Bremse ist der Parasympathikus, der Beruhigungsnerv.
Ich kann nicht nur auf dem Gas stehen… Deshalb ist es wichtig, auch trotz grösstem Stress, kleine Pausen und Auszeiten einzubauen. Fünf Minuten draussen Spazierengehen, zwei Minuten eine Atemübung machen, den Kopf mal rasch leer bekommen, die Herzfrequenz runterfahren.
Liam Rudolph.webp)
© Liam Rudolph
Unternehmer, Arzt und Autor: Dr. Felix Bertram