Schauspielerin Eva Mattes: "Ich flirte mit allen und jedem"

© Yvonne Schmedemann

25. August 2025

Stephanie Pieper

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Schauspielerin Eva Mattes: "Ich flirte mit allen und jedem"

Eva Mattes über Lust, Liebe und Leidenschaft und die Kunst der Verführung vor der Kamera – und im echten Leben

Mit 12 synchronisiert sie Pippi Langstrumpf, mit 15 wird Eva Mattes in der Rolle eines Vergewaltigungsopfers in Michael Verhoevens Anti-Vietnamkriegs-Film „o.k.“ zum Auslöser eines Skandals auf der Berlinale, die daraufhin zum ersten und bislang einzigen Mal in ihrer mittlerweile 74-jährigen Geschichte abgebrochen wird.

Bis heute hat die 1954 geborene Charakterdarstellerin, die bereits mit sechs Jahren beschloss, Schauspielerin zu werden, in über 200 Kinofilmen, Fernsehfilmen oder Theaterinszenierungen gespielt. Sie arbeitete mit allen großen Regisseuren von Werner Herzog über Michael Verhoeven bis hin zu Rainer Werner Fassbinder und Peter Zadek.

Eva Mattes: Von der Tatort-Kommissarin bis zur Hebammen-Mutter

Klaus Kinski schnappte sie 1979 in Cannes für ihre Rolle in Woyzeck eine Goldene Palme vor der Nase weg – und das Enfant Terrible war ihr deshalb nicht einmal böse. Eva Mattes liebt das Spiel – und die Kunst, ihr Publikum zu verführen. Man kann einfach nicht wegschauen, wenn Eva Mattes hinschaut, flirtet und dabei immer sehr persönlich wird.

Von der Tatort-Kommissarin Eva Blum bis hin zur Hebammen-Mutter in Lena Lorenz ist ihr nichts Menschliches fremd. Zu Hause ist die Schauspielerin in Berlin-Kreuzberg und immer öfter auch in ihrem Haus mit Garten in Brandenburg. Dort lebt sie gemeinsam mit ihrer Tochter Hannah (aus ihrer Beziehung mit Werner Herzog), ebenfalls Künstlerin und Fotografin.

Was ist macht Sie eigentlich so verführerisch?

Das müssen Sie andere fragen. Ich sehe mich ja nicht selbst.

Aber das hat doch nicht nur mit Sehen zu tun?

Es hat mit vielem zu tun – vor allem mit Präsenz. Angefangen bei der Art, wie man auftritt, wie man einen Raum betritt, wie man die Leute begrüßt und Menschen begegnet. Es ist die Offenheit, die man mitbringt, und das Bewusstsein: Ich werde jetzt angeschaut. Was übrigens nicht immer angenehm ist. Vor allem aber hat es etwas mit Geben zu tun.

Wie verführen Sie Ihr Publikum?

Indem ich mich hingebe. Mich etwa bei meinen Liederabenden auf die Bühne stelle und sage: Jetzt bin ich da und wir verbringen den Abend zusammen. Ich öffne mich und gebe euch meine Liebe.

Wird diese Liebe erwidert?

Oh ja, man spürt das sofort. Neulich habe ich an einem großen Theater in Regensburg gespielt und der Applaus wollte gar nicht enden, obwohl ich noch kein Wort gesagt hatte. Ich kriege oft so viel Liebe zurück, dass ich mich sehr aufgefangen fühle. Schöner kann es nicht sein.

Und wenn der Funke mal nicht überspringt?

Dann schaue ich Personen im Zuschauerraum direkt an oder spreche sie an. Das Persönliche springt eigentlich immer über. Das liegt natürlich auch an den Texten. Bei der Poesie von Mascha Kaléko, die ich derzeit bei meinen Chansonabenden rezitiere, kann man die Nähe und Intimität geradezu spüren: „Ausgesetzt in einer Barke von Nacht, trieb ich und trieb an ein Ufer. An Wolken lehnte ich gegen den Regen, an Sandhügel gegen den wütenden Wind. Auf nichts war Verlass, nur auf Wunder.“ Das ist schon sehr persönlich.

Eva Mattes über ihre Verführungskünste

Dann ist Ihre Verführungskunst die Nahbarkeit?

Schön gesagt! Vielleicht. Aber ich nehme die Menschen wirklich wahr. Auch im ganz Alltäglichen, im Privaten. Wenn ich spazieren gehe oder einkaufen, lächle ich mein Gegenüber manchmal so lange an, bis etwas in den Gesichtern passiert. Sie hellen sich auf. Ich nehme immer Kontakt auf. Ja, ich flirte auch wahnsinnig gerne. Das Leben ist schön. Ich flirte mit allen und jedem. Aber wenn es ums Verlieben geht, muss er mir natürlich Signale aussenden, dass er mich auch interessant findet. Wissen will, wer ich bin.

Hat Verführungskraft denn ein Ablaufdatum?

Meiner Meinung nach nicht. Natürlich kommt es auf die Erwartungen an, die man hat. Verführung muss nicht immer irgendwo hinführen. Verführung sollte etwas Leichtes haben, etwas Schwebendes, wie ein Duft, der vorüberzieht. Wie ein sinnliches Spiel, das man auch mit 90 Jahren oder mit 150 Kilo spielen kann.

Ich konnte Luciano Pavarotti einmal unbemerkt beim Verführen zugesehen. Das war in einem Aufzug in einem Wiener Hotel. Da passten kaum zwei Leute rein. Ich hörte Pavarottis Stimme schon von Weitem. Er redete italienisch auf eine große, schöne, dunkelhaarige Frau ein. Die beiden stiegen in den Aufzug, ohne mich zu bemerken. Ich verwandelte mich einfach in Tapete.

Zwischen seinen Bauch und diese Frau passte kein Blatt, aber auch zwischen die beiden und mich passte nichts. Dennoch konnte ich ihm ungestört beim Liebessingsang zusehen. Es war ein unglaubliches Vergnügen.

Jugend und Schönheit spielen gar nicht so eine große Rolle?

Es kommt im Wesentlichen darauf an, wie man sich fühlt. Wenn ich mich gut fühle, habe ich eine tolle Ausstrahlung. Sobald ich eine Bühne betrete, setzt eine Verwandlung ein, die auch im Körper stattfindet. Aussehen spielt plötzlich keine Rolle mehr. Ich sehe meinen Körper nicht und das Publikum genauso wenig. Ich spiele aber auch manchmal Rollen, in denen ich hässlich und schrill bin. Die Liesl Mooshammer in den Eberhofer-Krimis etwa.

Fällt Ihnen das schwer?

Nein, es macht Spaß. Es ist nicht halb so anstrengend, wie ständig schön sein zu müssen. Vor allem in meinem Alter. Da muss das Licht stimmen, der Kameramann muss mitspielen, das Make-up muss sitzen. Ich bin eitel. Ich kann an keinem Spiegel vorbeigehen.

Sie tragen auch immer roten Lippenstift.

Das habe ich von meiner Mutter. Sie ist nie ohne Lippenstift vor die Türe gegangen. Eine wunderschöne Frau, eine begnadete Tänzerin und Sängerin. Ich tanze auch sehr gerne und, wie man sagt, auch ganz gut.

Und Sie haben eine sehr erotische Stimme. Wie Samt und Seide. Das haben Sie bestimmt schon oft gehört.

Und ich fühle mich jedes Mal geehrt. Das war schon als junge Frau auffällig. Damals arbeitete ich viel mit Peter Zadek zusammen. Irgendwann probten wir ein Stück, in dem es viel um Erotik ging und um die Beziehung zweier Frauen. Ich weiß noch, wie er mir zugerufen hat: Hör auf, erotisch zu spielen! Du bist erotisch!

Mögen Sie eigentlich Ihren Körper?

Ja, ich glaube, das merkt man auch. Ich habe schon in der Pubertät verstanden, dass dick oder dünn überhaupt keine Rolle spielt. Ich galt schon mit 17 als pummelig, als ich ans Hamburger Schauspielhaus ging. Damals war Twiggy das große Vorbild. Später war ich dann sehr, sehr schlank, aber den Jungs war das immer egal. Ich mache auch heute keine Diäten mehr. Natürlich denke ich manchmal, wenn ich mich im Fernsehen sehe – und Fernsehen macht immer noch ein bisschen dicker: Wem gehört denn dieser Hintern? Aber mir ist das mittlerweile ebenfalls egal. Dafür esse ich viel zu gerne.

Ich habe schon in der Pubertät verstanden, dass dick oder dünn überhaupt keine Rolle spielt

Eva Mattes


Ulrich Tukur hat mal in einem Interview über Sie gesagt, Sie könnten auch richtig – Verzeihung, Zitat – fressen.

Das war schon ein bisschen unverschämt, oder? Ich dachte, ich höre nicht richtig! Ausgerechnet Uli Tukur macht sich lustig. Wahrscheinlich, weil er jetzt selbst ein bisschen aufpassen muss. Früher liebte er es, mit mir essen zu gehen, weil alle anderen Frauen, mit denen er drehte, so gut wie nichts aßen.

Bei einem Tatort-Dreh lud er mich in ein Lokal ein, in dem es Eisbein gab. Ich esse alle 15 Jahre mal Eisbein – aber dann mit Haut und Haar. Auch alles, was die Leute sonst verschmähen: Ich esse das Fett mit viel Senf, knabbere die Knorpel und sauge das Mark aus den Knochen.

Legendär die Szene im „Eberhofer“-Krimi, in der Sie die Hühnerknochen komplett aufessen. Mit großer Lust!

Das mache ich wirklich, da bleibt bei mir nicht viel übrig. Doch wenn ich zu Hause koche, was ich jeden Tag auch für mich allein tue, ernähre ich mich meistens vegetarisch.

Kann man Sie mit Essen verführen?

Ach, so ein blutiges Steak ...

Manchmal erinnern Sie wirklich an Pippi Langstrumpf, die macht, was ihr gefällt – Ihre erste Rolle als Synchronsprecherin. Sie waren 12 Jahre alt und haben auch des berühmte Titellied gesungen.

Ich habe Pippi nur in der Fernsehserie meine Stimme geliehen. In den Filmen habe ich Tommy gesprochen.

Können Sie nachvollziehen, dass heute viele erwachsene Frauen Pippi Langstrumpf als Vorbild benennen?

Eigentlich nicht. Natürlich ist es lustig, wenn jemand sich Bürs-ten an die Füße bindet und tanzend den Boden wischt. Aber mich hat vor allem eine Szene fasziniert. Pippi spricht abends vorm Zubettgehen mit ihrer toten Mutter im Himmel: Mach dir keine Sorgen, ich pass auf mich auf, mir geht’s gut.

Diesen Aspekt finde ich ganz besonders. Sie achtet auf sich selbst, hört auf sich und ihre Intuition. Das hat mich immer schon beeindruckt. Und die Füße auf dem Kissen. Das habe ich selbst ausprobiert, als ich nicht einschlafen konnte. Funktioniert immer. Es ist wahrscheinlich die Freiheit, die viele so fasziniert. Pippi Langstrumpf hält sich nicht an Regeln und Rollenmuster.

Sie haben auch schon früh Rollen durchbrochen und Jungs oder Männer gespielt.

Die Rolle des Timmy bei Lassie habe ich vor allem bekommen, weil die Jungs irgendwann in den Stimmbruch kamen. Außerdem ist es mir immer schon leichtgefallen, Stimmen zu imitieren.

Und wie war das, als Sie in der Hommage „Ein Mann wie E.V.A.“ den gleichermaßen großen wie komplizierten Rainer Werner Fassbinder imitierten?

Ich habe in dem Sinne keinen Mann gespielt, sondern einfach Fassbinder. Seine Stimme, seinen Gang, diese besondere Weichheit, durchzogen von Traurigkeit. Alles lag in seiner Stimme und in seiner Körperhaltung. Auch das Übergangslose vom Leisen plötzlich ins Schreien zu kommen. Das habe ich mir noch einmal genau angeschaut. Das Körperliche war das Entscheidende, um in die Rolle hineinzufinden.

Herzog, Fassbinder, Zadek, von Praunheim, Kroetz ... – Sie haben mit den großen Regisseuren gedreht und inszeniert. Was muss ein Regisseur tun, um Sie zu einer Rolle zu verführen?

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen absurd, aber die größte Verführung war und ist für mich immer die Zurückhaltung. Dass jemand genau hinschaut: Was macht die da? Wie empfindet die das? Und nur im Notfall eingreift, wenn sich mein Spiel nicht von selbst weiterentwickelt. Aber im Prinzip ein-fach hören, sehen, vertrauen. Freiheit! Ich weiß schon, wie ich meine Arbeit mache.

Sie haben sehr früh angefangen zu arbeiten. Haben Sie es je bereut?

Niemals! Ich werde oft gefragt, ob ich nicht meine Kindheit verpasst hätte. Im Gegenteil, ich spiele bis heute. Und es macht mir immer noch Spaß, ich bin noch lange nicht satt!