Christiane Arp: "Die 1990er-Jahre waren die unbekümmertste Fashion-Ära "

© Matthias Ziegler

Modelegende: Christiane Arp leitete 18 Jahre lang die deutsche VOGUE

23. Juni 2025

Aufgezeichnet von Bernd Skupin

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Christiane Arp: "Die 1990er-Jahre waren die unbekümmertste Fashion-Ära "

Was macht Mode so attraktiv? Warum folgen wir ihr? Wie verändert sie die Gesellschaft? Wer könnte diese Fragen besser beantworten als Christiane Arp, langjährige Chefredakteurin der deutschen VOGUE und heutige Vorstandsvorsitzende des Fashion Council Germany

Mal Komplizen, Beschützerin (mitunter auch Waffe) oder bester Freund – worin liegt diese schwer zu widerstehende Verführungskraft der Mode, die mich auch beruflich praktisch mein ganzes Leben lang begleitet? Warum greife ich zu genau diesem Teil? Vielleicht, weil es mir ein ganz bestimmtes Gefühl gibt.

Das Gefühl, die sein zu können, die ich bin oder gern sein möchte, obwohl ich es eigentlich gar nicht bin. Noch nicht bin? Dabei ist es egal, ob die Wahl auf ein Kleid mit Spaghettiträgern oder einen Männeranzug fällt.

Christiane Arp: In meiner Jugend zog mich das Androgyne an

Bei mir waren es in meiner Jugend die Anzüge meines Opas. Das Androgyne, das Körperverhüllende dieses Looks zog mich an. Zu Beginn der 1980er-Jahre haben mich die japanischen Designer wie Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo inspiriert, repräsentierten sie doch genau, wie ich aussehen wollte.

Oder der Smoking für Frauen von Yves Saint Laurent. Ich liebe diesen Dialog von sinnlichem, durchsichtigem Chiffon mit den perfekten Schultern eines Smokings.

Weil ich dann manchmal vielleicht doch genau das Feminine will, genau dieses kleine, verführerische Element, das die transparente Chiffonbluse impliziert. Die Inszenierung, wie ich in diesem Moment sein will, bestimme ich intuitiv. Das ist mein Stil. Trage ich diesen in dem Moment perfekten Anzug mit Turnschuhen oder mit High Heels? Trage ich ihn mit Lippenstift oder ganz ohne Make-up, „undone“ oder „big hair“?

Christiane Arp: "Kleidung muss dich unterstützen"

Kleidung muss dich unterstützen, muss dich im übertragenen Sinne tragen, darf dir aber niemals etwas überstülpen. Dann entsteht dieser magische Moment, wenn man etwas anzieht und automatisch ein klein bisschen gerader dasteht, weil es sich einfach toll anfühlt.

Auf die Spitze getrieben wird dieses Gefühl durch Haute-Couture-Mode. Das erste Haute-Couture-Outfit, das ich getragen habe, war ein Mantel von Chanel. Ich hatte ihn als Moderedakteurin bei einer Fotoproduktion dabei. Ich habe ihn anprobiert, weil ich wissen wollte, ob es sich besonders anfühlt. Ich zog ihn also an und dachte nur: wow!

Ja, es hat etwas mit mir gemacht, obwohl es nicht mein Stil war. So ein Haute-Couture-Teil wird speziell für dich gemacht – mit all dem Wissen, all dem Know-how, all dem handwerklichen Können, das darin steckt. Mit dem Nimbus der modischen Königinnenklasse. Man zieht es an und spürt es in derselben Sekunde.

In einem Outfit ankommen, ist wahrscheinlich der Schlüssel. Kein Objekt ist dichter an meinem Körper als ein Kleidungsstück – Parfum vielleicht, weil es meinen Geruch ausmacht und verändert. Kleidung kühlt mich, wärmt mich, schützt mich. Das sind die Grundbedürfnisse, die mit dem Bekleiden erfüllt werden. Sie gehen mit einem positiven Gefühl einher – es kühlt mich und es fühlt sich auch noch toll an. Ah, Seide … Oder: Es wärmt mich und es fühlt sich auch noch toll an. Kaschmir …!

Die permanente Veränderung ist ein wesentliches Charakteristikum in der Mode

Diese Gefühle lassen mich in meiner Kleidung richtig ankommen. Und wenn jemand mit einem Outfit in eine Rolle schlüpft, dann braucht es diesen Moment des Ankommens. Das wird jeder Schauspieler, jede Schauspielerin bestätigen. Das kratzende Kostüm ist genau richtig für die Rolle, wenn der Eindruck von Unwohlsein vermittelt werden soll.

In Zusammenhang mit Mode wird gern der Begriff „authentisch“ verwendet, um eine Person als „echt“ zu klassifizieren – jemand, dessen Stil stimmig ist als Ausdruck seiner oder ihrer Persönlichkeit. Und jede Form von „Verkleidung“ wird von den Beobachter:innen als positiv oder negativ wahrgenommen, ohne dass ich als Träger:in darauf Einfluss habe.

Die 2007 verstorbene britische Stylistin und Modejournalistin Isabella Blow war eine Legende – sie füllte jeden Raum, den sie betrat, in der Sekunde aus. Egal, ob man sie kannte oder nicht, man musste sie anschauen und fragte sich unweigerlich: „Was ist das jetzt für ein Hut!?“ Oder: „Wie großartig sieht dieses Outfit denn aus!?“ Ein modisch exzentrischer Auftritt bleibt nie ohne Wirkung – und das weiß auch diejenige oder derjenige, die oder der ihn wagt.

Die langjährige VOGUE-Chefredakteurin Christiane Arp über ihren Stil

Das andere Ende der Reaktionsskala aus meiner persönlichen Erfahrung: Da hieß es, die VOGUE-Chefin kommt immer in einem Look aus strenger Frisur, schwarzem Anzug und hohen Schuhen daher. Und man weiß eigentlich nie, welches Label sie genau trägt. Das wurde als stimmig etikettiert. Ging die VOGUE-Chefin aber einmal aus diesem Look heraus und trug ein rotes, wallendes Stella-McCartney-Kleid, offene Haare, ganz viel Goldschmuck und auch noch ein üppiges Make-up, dann hieß es: „Das passt aber gar nicht zu ihr.“ Während jemand anderes vielleicht sagte: „Na endlich mal!“

Die permanente Veränderung ist ein wesentliches Charakteristikum in der Mode. Und das betrifft auch ihre Begleiterscheinungen. In den hedonistischen 1990er-Jahren waren alle plötzlich Superstars: Fotograf:innen, Models, Designer:innen, Stylist:innen, Hair- und Make-up-Artist:innen. Es ging nur um das eigene Ich, um den eigenen Kosmos.

Im Rückblick betrachtet war es vielleicht die unbekümmertste Fashion-Ära. Die Nullerjahre waren anders. Auch in der Mode verschoben sich die Gewichtungen. Da waren es nicht mehr nur die Designer:innen, die eine Richtung vorgaben, plötzlich sorgten Prominente oder Stars wie Paris Hilton und Britney Spears mit ihren Looks für Haben-wollen-Reflexe.

"Wir wollten diesen It-Girls-Look haben, aber nicht mehr unbedingt Designer Outfits"

Frauen wie Chloë Sevigny und Kate Moss wurden für ihre Art, Mode zu tragen, gefeiert. Wir wollten diesen It-Girls-Look haben, aber nicht mehr unbedingt Designer Outfits tragen. Die Fast-Fashion von H&M und Co. bereitete den Weg dafür. Die Influencerinnen- Kultur, die mit der Entwicklung von Social Media einherging, war dann eine logische Weiterentwicklung daraus.

Entscheidend für modische Anziehungskraft und Verführung durch sie ist die Intention, Dinge immer wieder voranzutreiben – herauszufinden, wie weit wir gehen können und wollen. Der berühmte deutsche Modefotograf F. C. Gundlach sagte einmal, ein Modebild sei immer auch der Spiegel der Zeit und der Gesellschaft, in der es entstanden ist. Ein Zeitdokument wie die Mode selbst.

Cristóbal Balenciaga beispielsweise war ein Visionär, der zu seiner Zeit als eigensinnig galt und Unverständnis provozierte. Seine Entwürfe zeigten Formen, die man in der Mode bis dahin nicht kannte.

Zuvor war es fast immer nur darum gegangen, den Körper gefällig zu präsentieren. Balenciaga revolutionierte das damalige Verständnis von Mode. Gesellschaftliche Veränderungen zeigen sich immer auch auf dem Laufsteg, nehmen Einfluss darauf, wie wir uns kleiden. Und jede Zeit bringt ihre Stars hervor. Das, was dann langfristig wirklich bleibt und Gesellschaft nachhaltig verändert, ist ein Trend.

Christiane Arp: Der Turnschuh hat viel mehr bewirkt, als nur einen Look zu prägen

Vielleicht eines der prägnantesten Beispiele dafür ist der Turnschuh, unverzichtbar für uns alle und aus keinem Kleiderschrank mehr wegzudenken. Am Anfang stand der Turnschuh für Jugendlichkeit. Dann kam die Verbindung zur Musik. Und schließlich zur Mode.

Doch er hat viel mehr bewirkt, als nur einen Look zu prägen. Der Sneaker hat verändert, wie wir uns bewegen – unseren Gang und damit auch unsere modische Haltung. Mode ist heute auf vielen Ebenen ein wichtiger gesellschaftlicher Kommunikator.

Mehr Menschen denn je nehmen wahr, was modisch passiert, egal ob sie sich für Fashion interessieren oder nicht. Mode ist Teil des gesellschaftlichen Gesprächs geworden. Bei den Olympischen Spielen in Paris war Nike mit Outfits für Sportler:innen vertreten und die ganze Welt diskutierte darüber. Oder über Pharrell Williams, der nicht nur super erfolgreich Musik macht und produziert, sondern auch seine eigenen Kollektionen und für Adidas, G-Star und Louis Vuitton designt.

Wenn sich Donatella Versace für eine Kooperation mit Pop-Superstar Dua Lipa zusammentut, sorgt dies heute für Schlagzeilen rund um den Globus. Es ist eine deutlich breitere Kommunikation entstanden, die sich über viele – vor allem digitale – Kanäle verbreitet und damit in Räume vordringt, in denen Mode vorher nie eine Rolle gespielt hat.

Vielleicht war ihre Anziehungskraft nie größer als heute. Mode verführt in meinen Augen noch immer, wenn auch mit einer anderen Sprache, als wir es die längste Zeit gewohnt waren.

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