21. April 2025
Christine Bürg und Margit Hiebl
Ein Espresso vor der Operation, eine Schaukel gegen die Angst vorm Zahnarzt, Zeichentrickfilme, die Schmerzen erklären, Angehörige, die gleich „mitbehandelt“ werden - wie Ärztinnen und Ärzte neue Wege zum Wohle ihrer Patientinnen und Patienten gehen
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Wer sich krank fühlt, geht zum Arzt. Doch oft ist so ein Termin in einer Praxis oder Klinik mit Aufregung, häufig sogar mit Angst verbunden. Um diese zu nehmen, sodass sich Patientinnen und Patienten möglichst wohl und gut aufgehoben fühlen, genügt es heute nicht mehr, ein paar Magazine im Wartezimmer auszulegen oder eine Pflanze aufzustellen.
Die Erwartungen von PatientInnen hat sich deutlich verändert, schon aufgrund des gesellschaftlichen Wandels: Das klassische paternalistische Kommunikationsmodell „‚Götter in Weiß‘ verkünden ein Krankheitsurteil“ ist einer Kommunikation auf Augenhöhe und einer eher partnerschaftlichen Ebene gewichen – zumal die Gesundheitskompetenz durch Dr. Google extrem gestiegen ist.
Daraus hat sich ein PatientInnen-Empowerment entwickelt, auf das auch die Ärztinnen und Ärzte reagieren müssen. Und: Reputation entsteht heute nicht nur, weil die medizinische Exzellenz stimmt, sondern auch, wenn die Patient:innen und das Internet dies bestätigen. Die Folge: Praxen und Kliniken denken um und gestalten die Patienten-Journey neu – von der Kommunikation bis hin zum Healthcare-Design.
Studien zeigen, wie wichtig es ist, dass die Kommunikation in Gesundheitsfragen auf einer menschlich zugewandten und partnerschaftlichen Ebene stattfindet und im Idealfall in eine gemeinsame Entscheidung in Richtung Behandlung oder Prävention mündet. „Shared Decision-Making“ lautet hier das Zauberwort, das die Erfolgschancen einer Behandlung erhöht.
Entscheidend ist, dass beide Seiten ein gutes Gefühl haben. Es hilft den Patienten, eine Vertrauensbasis aufzubauen – optimalerweise vom Praxismanagement bis hin zur Behandlung durch Arzt, Ärztin oder die Mitarbeitenden. „Fühlt man sich schlecht aufgehoben, sollte man sich nicht behandeln lassen“, sagt Dr. Lukas Kohler vom Münchner Ästhetik- Institut LVATE. Und das gilt auch im Umkehrschluss: „Wenn man spürt, dass der Patient einem nicht vertraut, sollte man verstärkt versuchen, das mangelnde Vertrauen zu gewinnen – oder eine Behandlung notfalls ablehnen“, so Kohler.
Herzchirurg Dr. Ferdinand Vogt vom Artemed Klinikum München Süd bindet von vornherein auch die Angehörigen mit ein
Eine weitere Dimension: Die Kommunikation muss auch innerhalb des Teams reibungslos funktionieren – denn auch da sitzen Menschen, die Bedürfnisse, Sorgen, gute und schlechte Tage haben. Und das wirkt sich auf das Mindset aus, das die Patient-Innen erwartet. Deshalb setzt Gall verstärkt auf innerbetriebliche Feelgood-Maßnahmen, etwa durch Mitarbeiter-Coachings. Auch er selbst nutzt diese Möglichkeiten:
„Damit es dem Patienten gut geht, muss man auf seine eigene Psychohygiene und psychische Gesundheit achten.“ Berufspolitische Rahmenbedingungen würden jedoch ebenfalls für Schwierigkeiten in der Arzt-Patient-Beziehung sorgen: „Viele ÄrztInnen haben, wenn es nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) geht, nur 10 Minuten Kontaktzeit, in der man weder eine Anamnese machen noch den Patienten kennenlernen kann“, so Dr. Gall.
Besseres Kennenlernen ist auch eines der zentralen Anliegen von Herzchirurg Dr. Ferdinand Vogt vom Artemed Klinikum München Süd. Deshalb bindet er von vornherein auch die Angehörigen mit ein. Zum einen erfährt er dadurch auch mehr über die PatientInnen und deren Lebensumstände, etwa, ob sie in der Lage sind, sich selbst zu versorgen.
Zum anderen erfährt er auch mehr über die Erwartungen, die an den Eingriff gekoppelt sind: Was ist möglich und was nicht? „Unsere Herausforderung ist stets, jedem ein individuelles, optimales Behandlungskonzept anbieten zu können“, so Vogt. Das Ziel: Die PatientInnen möglichst schnell wieder in ihren Alltag zu integrieren.
Ein weiterer Aspekt: „Das Herz ist nicht nur ein wichtiges Organ, sondern auch emotional belastet. Dass man da zum Hörer greift und die daheim Wartenden über den Verlauf unterrichtet, ist für mich eine Selbstverständlichkeit.“ Angehörige „mitbehandeln“ gehört für den Herzspezialisten auch zur Fürsorge.
„Unsere Herausforderung ist stets, jedem ein individuelles, optimales Behandlungskonzept anbieten zu können“
Dr. Ferdinand Vogt
Für den Hamburger Augenarzt Dr. Johannes Gonnermann haben Angehörige auch eine psychologische Komponente, besonders für ältere Patient:innen oder Kinder. „Wir empfehlen, vertraute Begleiter, Eltern oder Großeltern mit zum Termin zu bringen, um zusätzlich eine emotionale Sicherheit und Wohlfühlzone sicherzustellen.“
Er legt Wert darauf, eine Praxis für alle Generationen zu sein, deshalb setzt er auf individuelle Kommunikations- und damit Wohlfühlkonzepte: Ältere Menschen bekommen Informationen über Länge, Dauer und Art der Voruntersuchung schon vorab zugeschickt, um sich vorbereiten zu können.
„In der Kommunikation ist die ruhige und klare Formulierung in einem angepassten Sprechtempo in einer ruhigen Atmosphäre äußerst wichtig. In der Aufklärung verwenden wir anschauliche Augenmodelle, um die Art und Weise des Eingriffs deutlich und einfühlsam zu erläutern.“ Für die kleinen PatientInnen gibt es ein kindgerecht ausgestattetes Extra-Wartezimmer. Oft helfe es schon, Ängste abzubauen, wenn das Kind sich auf etwas anderes konzentrieren kann.
"In der Kommunikation ist die ruhige und klare Formulierung in einem angepassten Sprechtempo in einer ruhigen Atmosphäre äußerst wichtig", so Dr. Johannes Gonnermann
Ein Klinik- oder Praxisaufenthalt ist in der Regel eine Ausnahmesituation für die PatientInnen. Auch hier gibt es Ansätze, diesen angenehmer und damit effektiver zu gestalten. Der Schmerzmediziner Dr. Claudius Gall beispielsweise gönnt PatientInnen nach einer Infiltration – einer Injektion im Bereich der Wirbelsäule – eine Wellnessphase, um den Schmerz und maximalen Stress auszugleichen. Sie dürfen sich in einem Spa-ähnlichen Ruheraum mit Musik und Fango entspannen, bis ihr normales Stresslevel wieder erreicht ist. In dieser Zeit werden alle relevanten Gesundheitsparameter überwacht.
Ein weiterer neuer Ansatz: Weil sich niemand länger als nötig in einer Klinik aufhalten möchte, wird inzwischen der sogenannte Korridor vor und nach dem Eingriff besser genutzt. Dafür stehen Programme wie ERAS (Enhanced Recovery After Surgery), mit deren Hilfe Kopmplikationsraten um bis zu 80 Prozent gesenkt werden können. Ein Konzept, auf das Prof. Dr. Franz Bader, ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und minimalinvasive Chirurgie des ISAR Klinikums München setzt.
Sie zählt zu den wenigen Kliniken, die dafür schon zertifiziert sind. Nach dem Motto „Better in, better out“ beginnt dabei die Reha bereits vor dem Eingriff, damit die PatientInnen möglichst fit in die OP gehen. Das Programm läuft interdisziplinär ab. Dazu zählt, dass etwaige Mangelzustände mit Elektrolyten, Aminosäuren und Vitaminen vor dem Eingriff ausgeglichen werden oder eine Rauchentwöhnung stattfindet. Sogar kurz vor der OP wird Stress minimiert: So darf bis sechs Stunden vorher gegessen und bis zwei Stunden vorher getrunken werden.
Nach dem Motto „Better in, better out“ beginnt dabei die Reha bereits vor dem Eingriff
Anschließend werden die PatientInnen durch speziell ausgebildete ERAS-Nurses zügig mobilisiert – selbst nach großen Eingriffen ist ein gemeinsamer Spaziergang auf der Station am selben Tag die Regel. Ziel ist es, die PatientInnen rasch in ihren normalen Alltag zu entlassen. Möglich wird dies auch durch schonendere minimalinvasive Methoden. Lag man früher nach einer Dickdarmkrebs-OP bis zu drei Wochen im Krankenhaus, sind es heute dank Robotik und der neuen Konzepte nur noch rund vier Tage.
Auch der psychologische Effekt ist bei Konzepten wie ERAS nicht zu unterschätzen. „Wenn man hört, dass man erst mal nichts essen und trinken darf, kommt einem die bevorstehende Operation gravierender vor – allein dadurch ist der Stresslevel schon höher“, so die Plastische Chirurgin Dr. Caroline Kim. Deshalb dürfen ihre PatientInnen morgens vor der OP nicht nur Wasser, sondern auch gezuckerten Tee oder sogar Espresso trinken.
Früher ein No-Go, weiß man heute, dass es zu weniger postoperativer Übelkeit kommt, wenn der Blutzuckerspiegel nicht so niedrig ist. Ohnehin wären viele Dogmen von einst überholt. „Man muss die Leute nicht belasten, wenn es dafür keine wissenschaftlichen Hintergrund gibt“, so Dr. Kim.
Ein Klinik- oder Praxisaufenthalt ist oft eine Ausnahmesituation für die PatientInnen. Auch hier gibt es neue Ansätze,
Verlorenes Selbstvertrauen zurückgeben, das ist das Ansinnen der Zahnarztpraxis Artedent in München. Dabei zielt Inhaber Dr. Paul Schuh in erster Linie auf AngstpatientInnen, weil gerade ein Besuch beim Zahnarzt für die meisten Menschen mit Stress verbunden ist. Um ihnen diese Angst zu nehmen, hängt bei ihm eine riesige Schaukel im Eingangsbereich.
„Jeder verbindet Schaukeln mit einem wohligen Gefühl, es erinnert an die Kindheit und daran, dass man in den Armen geschaukelt wurde. Wir spüren bei unseren Patientinnen und Patienten, dass dadurch ihre Anspannung abfällt und sie ruhiger und gelassener ins Behandlungszimmer kommen.“
Durch die Digitalisierung können außerdem viele Behandlungsschritte virtuell geplant und vorbereitet werden, was die sogenannten Stuhlzeiten, die ebenfalls Stress verursachen, reduziert. Transparenz ist ein weiteres Werkzeug, das die Angst nimmt. „Unser Labor ist wie eine Open Kitchen. Nichts passiert hinter verschlossenen Türen, jeder kann zusehen, wie Kronen gefertigt werden, das schafft Vertrauen“, so Dr. Paul Schuh.
Auf ein gläsernes Labor setzt auch sein Zahnarztkollege Dr. Firas Zoubi im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren, dessen PatientInnen live erleben können, wie ein Zahn Schicht für Schicht aufgebaut wird. Damit nicht genug: „Viele haben beispielsweise Angst davor, dass sie nach einem sogenannten Smile Makeover – einer Verbesserung der Zahnästhetik – nicht mehr sie selbst sind.“
Deshalb werden Mock-ups erstellt, sodass die PatientInnen nicht nur sehen können, wie sie mit ihren neuen Zähnen aussehen (über Vorher-Nachher-Fotos, die im eigenen Foto-studio aufgenommen werden), sondern sie auch im Mund spüren können. „Mock-ups können im Laufe der weiteren Behandlung immer wieder angepasst und auf Wunsch korrigiert werden“, erklärt Zoubi, „ sodass das Ergebnis für die PatientInnen bereits vorher zu sehen ist und nur positive Überraschungen bereithält.“
Häufig werden durch so eine Zahnbehandlung erschlaffte mimische Muskeln wieder aktiviert, „was letztlich zur Ausschüttung von Glückshormonen führt“, so Dr. Firas Zoubi.
Ein Besuch beim Zahnarzt für die meisten Menschen mit Stress verbunden
„Die Räume sollen Wärme ausstrahlen und die PatientInnen vergessen lassen, dass sie beim Arzt sind“, sagt Dr. Lukas Kohler, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. Sein Münchner LVATE-Institut, dessen Interieur wie die Lounge eines Boutique-Hotels anmutet und mit Designklassikern wie der Camaleonda-Couch von Mario Bellini aufwartet, ist in warmes Licht getaucht.
Es duftet wie in einem Spa, dazu läuft angenehme Musik. Dr. Kohler selbst spricht von einem Anti-Praxis-Konzept. Die typischen Medizinfarben Weiß und Silber sucht man hier vergeblich, „Menschen verbinden damit unangenehme Themen wie Krankheit und Schmerz“, so seine Erklärung. „Deshalb sind auch alle im Team in zurückhaltendem Schwarz gekleidet.“
„Die Räume sollen Wärme ausstrahlen und die PatientInnen vergessen lassen, dass sie beim Arzt sind“
Dr. Lukas Kohler
Auch Zahnarzt Dr. Paul Schuh verzichtet bei Artedent auf weißes, grelles Licht und somit typisches Klinik-Ambiente. Er hat sich für ein freundliches Creme und ein sanftes Grau entschieden sowie für ein sattes Grün als Akzentfarbe, „weil es an die Natur erinnert und beruhigend wirkt. Der vertikale Naturgarten im Eingangsbereich soll das Schmerzempfinden senken und so dazu beitragen, die notwendige Dosis an Schmerzmitteln reduzieren zu können.“
Auf urbanen Loft-Charakter setzt das Studio Zoubi. Offen, hell und transparent war die architektonische Maßgabe von Inhaber Dr. Firas Zoubi, und so dominieren sowohl im lichtdurchfluteten Erdgeschoss mit Empfangstresen und Lounge-artigem Wartebereich als auch in den Behandlungsräumen im 1. Stock Glas, Holz und Beton.
Dass das Ambiente in Praxen und Kliniken einen immer höheren Stellenwert einnimmt, ist der Healing-Architecture-Bewegung zu verdanken sowie der Erkenntnis, dass gutes Design nachweisbar eine heilende und entspannende Wirkung hat und das Wohlbefinden steigert.
Deshalb setzen immer mehr Ärzte auf ein stilvolleres Ambiente. So auch die Münchner Plastische Chirurgin Dr. Caroline Kim, die im April eine neue Praxis mit angegliedertem OP-Bereich im Münchner Lodenfrey-Park bezieht – inklusive Vogelgezwitscher, Blick auf den Schwabinger Bach und in den Englischen Garten.
„Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die beweisen, dass PatientInnen nach einer OP deutlich schwächere Schmerzmittel benötigen, weniger Komplikationen haben, weniger unter Stress stehen und schneller wieder fit werden, wenn sie in die Natur schauen, statt auf eine Häuserwand“, so Dr. Kim.
Ein Aspekt, der nicht nur für die Psyche der Patientinnen und Patienten wichtig ist, sondern auch für die MitarbeiterInnen. Weshalb auch der OP-Raum, „in dem wir oft viele Stunden des Tages verbringen“, Fenster ins Grüne hat. Der zweite Vorteil eines eigenen OPs: „Man kommt in vertraute Räume, trifft auf ein Team, das einen mit Namen kennt, ohne jegliches Krankenhaus-Feeling.“
Bei Dr. Caroline Kim hat auch der OP-Raum Fenster ins Grüne
Krankenhaus-Feeling kann man auch in einer bestehenden Klinik vermeiden, wie beispielsweise im ISAR Klinikum in München: Zimmer und Service haben Hotelcharakter – sie verfügen über eine Minibar, in den Bädern findet man Bademantel, Schlappen und Amenity-Kits, es wird à la carte oder per Tablet bestellt und mit Silber-Cloche sowie Stoffservietten serviert. Und noch etwas trägt zum Wohlfühlerlebnis bei: Dank eigens entwickelter Reinigungsmittel riecht es überhaupt nicht mehr nach Krankenhaus.