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15. Dezember 2025
Margit Hiebl
Blutwäsche gegen Mikroplastik, Entzündungen, Long Covid und für ein langes Leben? Was wirklich hinter dem neuesten Health-Hype steckt
Im Spannungsfeld zwischen High-End-Medizin, Biohacking und Prominenten-Bekenntnissen erlebt ein Verfahren gerade einen ziemlichen Hype: die Apherese, im allgemeinen Sprachgebrauch auch Blutwäsche genannt. Sie soll Entzündungen lindern, Autoantikörper entfernen und Mikroplastik aus dem Blut filtern können. Ein Wundermittel? Gar der Schlüssel zu mehr Vitalität, Gefäßgesundheit und gesundem Altern? Die Versprechungen sind groß, die Erwartungshaltung hoch. Doch die Studienlage ist – in manchen Teilen – noch dürftig.
Der Name Apherese stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „wegnehmen“. Die Entwicklung der Behandlung reicht bis in die 1950er-Jahre zurück. Seither hat sich das Verfahren zu einer Therapieoption bei verschiedensten Erkrankungen entwickelt.
Indikationen sind laut American Society for Apheresis (ASFA) Autoimmunkrankheiten wie Myasthenia gravis (neuromuskuläre Übertragungsstörung im Bereich der Skelettmuskulatur), systemischer Lupus, rheumatische Erkrankungen oder auch neurologische Syndrome wie das Guillain-Barré-Syndrom (eine Form von Polyneuropathie, bei der es zu Muskelschwäche kommt).
Als etablierte Behandlungsoption gilt sie auch bei Multipler Sklerose oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Ebenso bei familiärer Hypercholesterinämie (erblich bedingter Fettstoffwechselstörung), wenn Medikamente nicht ausreichen. Zunehmend gibt es jetzt auch Fallberichte über Anwendungen bei neurogenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz, chronischem Erschöpfungssyndrom, toxischen Belastungen oder Long Covid.
Wie funktioniert das Verfahren? „Eine therapeutische Apherese, auch Plasmapherese oder Pathopherese genannt, trennt die festen und die flüssigen Blutbestandteile. Das Plasma wird anschließend gezielt von schädlichen Substanzen wie Autoantikörpern, Immunkomplexen, Zytokinen und anderen toxischen Stoffen gereinigt und dem Körper wieder zugeführt“, erklärt Dr. Giselind Dohr, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Anästhesie sowie Expertin für Apherese-Therapien in der MedVital Gesundheitsresidenz in Tegernsee.
„Dies kann zu einer deutlichen Verringerung der Entzündungsbelastung, von freien Radikalen, Autoantikörpern und zu verbesserten rheologischen Eigenschaften – also Fließeigenschaften des Blutes – führen, wodurch Symptome chronisch entzündlicher oder autoimmuner Erkrankungen gelindert werden können.“
Der Ablauf erinnert an eine Blutspende. Der oder die PatientIn liegt oder sitzt bequem, das Blut wird über eine Kanüle aus der Armvene entnommen. Über ein Schlauch-system gelangt es in ein Apherese-Gerät, wo es über Filtration in seine Bestandteile aufgetrennt wird.
Die unerwünschten Substanzen werden entfernt, das gereinigte Blut über eine zweite Kanüle in die andere Ellbeuge wieder zurückgeführt. Die herausgefilterten Bestandteile landen in einem sogenannten Eluat-Beutel. Und der gibt einigen Aufschluss. „Bereits Farbe und Erscheinungsbild, etwa eine Trübung des Inhalts, geben häufig wichtige Hinweise, ob es sich um eher entzündliche Komplexe, Zellbestandteile oder Schadstoffkomplexe handelt“, so Dr. Dohr.
Die ganz Prozedur dauert zwei bis drei Stunden, je nach Körpergröße und Gewicht, und die Kosten liegen bei rund 2800 Euro. Beim Stichwort Blutwäsche denken viele gleich an Dialyse. Auch sie gehört zu den extrakorporalen Blutreinigungsverfahren und übernimmt die Funktion der Nieren, wenn diese nicht mehr ausreichend funktionieren: „Sie entfernt wasserlösliche Abbauprodukte und Elektrolyte, nicht je-doch spezifische Proteine oder Immunkomplexe, wie es die Apherese tut“, so die Expertin.
Klingt beeindruckend, doch wie schaut es mit der Evidenz aus – gerade bei neuartigen Anwendungsbereichen wie der Eliminierung von Umwelttoxinen oder der Therapie von Long Covid? Ersteres hat spätestens seit Berichten von und über Hollywoodstar Orlando Bloom große Aufmerksamkeit bekommen: Er postete beseelte Fotos aus einer Londoner Luxusklinik, in der er sich „Mikroplastik und giftige Chemikalien“ aus dem Blut spülen ließ.
Die sogenannten Ewigkeitschemikalien (schwer abbaubare Alkylverbindungen) stehen unter anderem in Verdacht, krebserregend zu sein. Kritik ließ nicht auf sich warten: Manche ExpertInnen sagen, über Schläuche und Filter erhalte man sogar noch eine Extraportion Mikroplastik obendrauf geliefert – ein Vorwurf, der im Zusammenhang mit einer Dialysestudie aufkam. Doch auch bei der Apherese werden Kunststoffmaterialien genutzt.
Immerhin: Eine neue kleine Studie, durchgeführt am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, liefert erste Hinweise darauf, dass sich die Apherese tatsächlich zur Entfernung von Mikroplastik eignen könnte. Um das aber quantifizieren zu können, wären jedoch weitere und größere Studien erforderlich.
Beispiel Long Covid: Im Internet kursieren Angebote, die Hilfesuchenden wahre Wunder versprechen. Laut Cochrane – einem internationalen und unabhängigen Forschungsnetzwerk, das regelmäßig Reviews über den aktuellen Wissensstand der Forschung veröffentlicht – ist die Evidenzlage jedoch bislang nicht überzeugend. Viele beobachtete Verbesserungen seien eher einem Placeboeffekt geschuldet – so auch das Fazit einer spanischen Phase II-Studie von Anfang 2025. Bisher fehlen allerdings kontrollierte Studien, die Nutzen und Sicherheit ausreichend belegen.
Doch es gibt Lichtblicke: „Einige Beobachtungsstudien und Fallserien stimmen optimistisch“, so Dr. Dohr. „Eine Kohortenstudie mit 27 Long-Covid-Patienten (INUSpherese) zeigte signifikante Absenkungen von Autoantikörpern, Lipiden, Fibrinogen und Entzündungsmarkern, begleitet von subjektiver Besserung.“ Und für dieses Jahr sind noch drei neue deutsche Studien angekündigt.
Neu ist der Ansatz, Apherese zur Prävention einzusetzen. So gilt sie seit einiger Zeit in der Biohacking-Community als Geheimtipp zur Reduktion chronischer Entzündungen, zur Vorbeugung degenerativer Erkrankungen oder schlicht zur Entgiftung. Doch hier ist laut Dohr noch eher Zurückhaltung geboten: „Derzeit gibt es keine belastbare Datenlage für den Einsatz in der klassischen Prävention, etwa zur Vermeidung von Gefäß-, Stoffwechsel- oder neurodegenerativen Erkrankungen bei Gesunden.“
Ohne belastbare Daten bleibt der Nutzen spekulativ. Als Baustein eines ganzheitlichen Longevity-Konzepts könnte die Apherese künftig jedoch in Betracht kommen – etwa bei starker Umweltbelastung oder Autoimmunrisiken, so die Ärztin. Es gebe zwar positive Effekte und Erfahrungswerte, doch leider fehle auch hier noch eine sichere Datenlage. Derzeit bilden primär die Optimierung der Ernährung, Bewegung, Stressmanagement, Mikronährstoff-Status, und epigenetische Faktoren die Grundlage.
Auch in der personalisierten Medizin könnte die Apherese in Zukunft eine Rolle spielen: „Denkbar wäre ihr Einsatz bei manifesten Autoantikörperprofilen, toxinbelasteten Eluaten oder Stoffwechselentgleisungen“, so die Expertin. „Dann idealerweise kombiniert mit omicsbasierter Diagnostik. Omics bezeichnet verschiedene Forschungsbereiche, die sich mit der umfassenden Analyse von Biomolekülen beschäftigen, z. B. Genomics (Gene / DNA), Proteomics (Proteine) und Metabolomics (Stoffwechselprodukte).“
Und wie sieht es mit Risiken und Nebenwirkungen aus? „Wie bei jedem invasiven Verfahren können auch bei der Apherese – wenn auch sehr selten – Nebenwirkungen auftreten“, so die Expertin. Dazu zählen Blutdruckabfall und Schwindel, Thromboserisiko oder allergische Reaktionen.
„Langfristige oder häufige Anwendungen bergen Risiken wie Verlust von Immunglobulinen oder Proteinen, wenn keine begleitende Behandlung stattfindet“, erläutert Dr. Dohr. „Und bei Long Covid zeigen Erfahrungsberichte, dass sich Antikörper erneut bilden, wodurch Wiederholungen der Apherese nötig wären.“
Fazit: Die Apherese ist ein effektives Verfahren – mit klaren medizinischen Anwendungsfeldern. In Einzelfällen zeigt sie auch bei Long Covid oder in der Umwelt-medizin Erfolge. In der Präventions- und Langlebigkeitsmedizin gilt sie jedoch noch als experimentell. „Ihre zukünftige Rolle hängt von kontrollierten Studien, klar definierten Biomarkern und einer sorgfältigen patientenindividueller Nutzen-Risiko-Abwägung ab“, fasst Dr. Giselind Dohr zusammen. Am Ende gilt, wie so oft in Gesundheitsfragen: unbedingt fundierte Beratung einholen und Evidenz vor Marketingversprechen stellen.