Warum haben wir Frühlingsgefühle?

14. Mai 2025

Margit Hiebl

  • Psychische Gesundheit
  • Mind

Warum haben wir Frühlingsgefühle?

Es füllt Gedichtbände, sorgt für Gefühlausbrüche oder Energieschübe. Doch was ist da eigentlich los?

Frühling ist wie eine Party, auf der man ein bisschen die Kontrolle verliert. Endlich wieder Leichtigkeit. Aus Nichts entsteht wieder Leben. Als hätte jemand Farbe in ein Schwarz-Weiß-Standbild gegossen, die Enter-Taste gedrückt und Lautsprecher angemacht. Man könnte die ganze Welt umarmen. Voller Tatendrang alles anpacken: Von Haus putzen (Frühjahrsputz!) bis hin zu sich neu verlieben (Frühlingsgefühle!). Das Gefühl von Neufang – das schon unsere Vorfahren hatten. Und für sie war es nicht nur Lebensqualität, sondern überlebenswichtig, denn die Wintervorräte gingen langsam zur Neige.

Warum haben wir Frühlingsgefühle?

Schuld daran, um auf das Bild der Party zurückzukommen, ist ein Cocktail aus Hormonen, die gerne Partyhütchen aufhaben. Allen voran Dopamin – so etwas wie der persönliche Cheerleader, der uns immer wieder motiviert und antreibt. Und dann auch Noradrenalin – macht zwar immer ein bisschen Stress, ist aber auf der anderen Seite auch ein Energielieferant, der uns wach und aufmerksam sein lässt. Und Serotonin – der Gute-Laune-Macher, der schon mal die rosarote Brille verteilt. Warum diese gerade im Frühling in Partylaune sind? Wesentlicher biologischer Auslöser ist das Licht. Die zunehmende Lichtdauer und -intensität wird über die Netzhaut der Augen zur Zirbeldrüse – ein Nervenzellenkonglomerat im Gehirn – übermittelt. Diese gibt das Signal für den Start der Party, indem sie die Melatonin-Produktion runterfährt. 

Das macht uns wacher und empfänglicher für Reize. Zudem steigt die Produktion von Sexualhormonen, was allerdings, so legen Studien nahe, keinen Einfluss mehr auf die menschliche Fortpflanzung hat. Zivilisatorische Fortschritte wie künstliches Licht, Heizung und nicht zuletzt moderne Verhütungsmethoden haben offenbar Wirkung gezeigt. Auch wenn Ergebnisorientierung in Sachen Fortpflanzung beim Menschen heute nicht klar nachzuweisen ist, sorgt die Hormonpower dennoch für partielles Frühlingserwachen und Schmetterlinge im Bauch. Zu mehr Libido und Flirtbereitschaft tragen, so Forschende, vor allem aber äußere Reize bei: Es ist wärmer, wir sind offener und senden entsprechende Signale aus. 


Frühlingefühle

Pflanzen verfügen über eine Art Lichtsensor

Dass in früheren Zeiten Nachwuchs gern auf den Winter terminiert wurde, hatte übrigens eher mit der Tatsache zu tun, dass es dann zum Beispiel auf dem Feld weniger Arbeit gab und man sich um den Sprössling kümmern konnte. Weniger strategisch ist das Timing nach wie vor bei vielen Säugetierarten: Hier wirkt sich Licht eindeutig auf den Paarungswillen aus. Auch dass viele Pflanzen im Frühling sprießen, hat meist mit Licht zu tun – sie verfügen über eine Art Lichtsensor. 

Lichtmangel als Auslöser der Winterdepression

Wie stark sich das Licht auch auf die Gemütslage auswirkt, spürt jeder. Vor allem aber Menschen, die unter einer SAD (Seasonal affective disorder) leiden. Denn diese wird zu rund 60 Prozent durch Lichtmangel hervorgerufen, der als Auslöser für eine sogenannte Winterdepression gilt. Zum Vergleich: Im Frühling herrscht ein Lux-Wert bis zu 70.000, im Winter sind es an wolkigen Tagen nur etwa 3500. Das ist gerade mal der Lichtwert, den der Mensch täglich benötigt – und meist bekommt man noch weniger, weil man sich mehr in Räumen aufhält.

Ist Licht also ein Stimmungsaufheller? Ja, doch das gilt leider nicht für alle Formen der Depression. Denn oft, und das ist die Kehrseite der Medaille, verschlimmert sich durch die Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen äußeren und inneren Stimmung das Krankheitsbild. Doch auch psychisch gesunde Menschen können Anpassungsschwierigkeiten haben – die sogenannte Frühjahrsmüdigkeit. Ist die innere Uhr aber wieder justiert – nach etwa zwei bis vier Wochen –, sollte sie wieder verschwinden. 

Wie äußern sich Frühlingsgefühle?

Mal abgesehen von Hormonen und Lichtwerten: Was macht das Feeling Frühling aus? Erklärungen oder Interpretationen gibt es von Künstlern aller Genres. Die Liste der Dichter, die der Frühling übermannte, ist lang und liest sich wie das Who’s who der Romantik: Von Mörikes Frühling lässt sein blaues Band, das wieder durch die Lüfte flattert, bis hin zu Goethes Osterspaziergang in Faust I. Auch auf der Leinwand wurden Frühlingsgefühle zum Ausdruck gebracht: In Botticellis Vorstellung von Primavera schart die Göttin Venus in einem Orangenhain Kollegen um sich, die den Frühling einläuten – von Flora, der Göttin der Pflanzen, bis hin zu Amor, der schon den Bogen spannt. Giuseppe Arcimboldo ließ sich für eines seiner anthropomorphisierenden Stillleben vom Frühling inspirieren – und schuf mit einer Collage aus Blüten und Blättern ein Porträt. 

Impressionist Claude Monet widmete dem Frühling gleich mehrere zarte Stimmungsbilder. Sogar Georgia O’Keeffe, Vertreterin der amerikanischen Moderne, konnte nicht widerstehen: Im Bild Spring lässt sie ihre ikonischen Riesenblumen über das Fotoatelier ihres Mannes wuchern. Gerne und zeitübergreifend wird der Frühling auch in der Musik interpretiert. In Antonio Vivaldis Vier Jahreszeiten vernimmt das geübte Ohr im Frühlingspart Vogelzwitschern, Blätterrauschen, Frühlingssturm und Hirtentänze. Und mit dem Text zu Here comes the sun waren die Beatles schon sehr nahe an der wissenschaftlichen Erklärung

Das Feeling Frühling ist facettenreich. Bei allen Interpretationen schwingt ein Gefühl mit: die Lust auf Neubeginn – in jedem Alter. Nicht umsonst spricht man vom zweiten Frühling. Und auch, wenn der Reiz des Frühlings sich als Erstes in der Nase bemerkbar macht. Kleiner Tipp: morgens in die Stadt und abends aufs Land, da ist jeweils die Pollenkonzentration am geringsten. Denn Frühlingsgefühle sollte man sich auf keinen Fall vermiesen lassen.


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