Charisma - wie bekommt man das gewisse Etwas?

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11. Juli 2025

Margit Hiebl

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Charisma - wie bekommt man das gewisse Etwas?

Man(n) oder Frau hat Charisma – oder eben nicht, heißt es. Lässt sich diese ganz besondere Ausstrahlung vielleicht doch lernen oder trainieren?

Es ist das gewisse Etwas, das wir alle gern hätten. Ein Etwas, das man kaum in Worte fassen kann. Weil es abstrakt ist und doch so real. Vom altgriechischen Wort „char“ ausgehend, versteht man darunter ein Geschenk oder eine Gabe.

Was bedeutet Charisma?

Der Soziologe Max Weber hat Charisma Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner Herrschaftstheorie als einen der drei Grundtypen definiert. Neben der traditionalen (z.B. Erbmonarchie) und der rationalen bzw. legalen (z.B. durch Wahlen bestimmt, im Gesetz verankert) prägte er den Begriff der charismatischen Herrschaft. Sie beschreibt die „außeralltäglichen“, sozialen, fast emotionalen oder kultartigen Beziehungen zwischen einem Herrscher und seinem Volk bzw. seinen Anhängern.

Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale helfen ihm dabei, eine hohe Identifikation bis hin zu Gehorsam bei seinen Gefolgsleuten zu erreichen. Häufig daran geknüpft ist die Hoffnung, dass alles besser wird. Damit Charisma wirken kann, braucht es einen passenden Kontext – etwa eine gesellschaftliche Krise, in der herkömmliche Autoritäten versagen und so Platz für außergewöhnliche Persönlichkeiten entsteht. In der Wissenschaft wird dies als latente charismatische Situation bezeichnet.

Da die Krise von den augenblicklich Verantwortlichen offenbar nicht gelöst werden kann, hofft das Volk auf den sprichwörtlichen „starken Mann“. Gute Beispiele finden sich in der Politik: John F. Kennedy oder Barack Obama etwa, die dank vorangegangener Krisen oder der stagnierenden Politik ihrer Vorgänger ihre Chance nutzten. Allerdings ist Charisma auch vergänglich – laut Max Weber eine Anfangserscheinung, die ihre Funktion als Heilsversprechen verliert, sobald der Alltag eintritt oder das Versprechen nicht erfüllt wird.

Charisma: Diese Persönlichkeiten haben es

Eine erweiterte, moderne Sichtweise liefert die ehemalige Stanford-Direktorin Olivia Fox Cabane in ihrem Buch „The Charisma Myth“. Sie beschreibt vier Arten von Charisma und ihre unterschiedliche Wirkung: Das „fokussierte Charisma“ besitzen Menschen, die Präsenz ausstrahlen, wach, aufmerksam und geistig schnell sind – Fox Cabane zählt Bill Gates oder Mahatma Gandhi dazu. Die Reaktion darauf: Bewunderung.

Das „autoritäre Charisma“ basiert vor allem auf Selbstbewusstsein, das andere in den Bann zieht und hohen Status vermittelt. Die Wirkung: Anerkennung und Ehrfurcht. Als Beispiele nennt sie Barack Obama und Margaret Thatcher. Das „visionäre Charisma“ kennzeichnet Menschen mit dem Glauben an etwas Großes und Neues, das andere beflügelt und inspiriert – dazu zählt sie Steve Jobs oder Martin Luther King jr.

Und schließlich das „freundliche Charisma“ – mehr als bei allen anderen eine Haltung. In ihrer Umgebung fühlen sich die Menschen geborgen und angenommen. Beispiele: Dalai Lama oder Mutter Teresa.


Wie strahlt man Charisma aus?

Noch griffiger ist der Erklärungsversuch der Wirtschaftswissenschaftler Conger und Kanungo, die das Zusammenspiel von Charisma und Führung in Unternehmen untersucht haben. Ihr 5-Faktoren-Modell benennt: Überblick über die aktuelle Lage, Sinn für die Bedürfnisse der „Anhänger“, die Fähigkeit, eine Vision zu entwickeln und sie zu kommunizieren, sowie Mut zum Risiko.

Ob Charisma in den Genen liegt, ist umstritten. Da die meisten Aspekte einer Persönlichkeit aber auf einen genetischen Einfluss hinweisen, könnte das auch für Charisma gelten. Einig sind sich Forscher jedoch darin, dass Charisma eher im Auge der Betrachter liegt. Und obwohl es darum geht, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und das Richtige zu tun, scheint da noch mehr zu sein – sonst könnten wir uns vor Charismatikern nicht retten: von der Flugsicherung über das Notfallteam einer Klinik bis hin zur Müllabfuhr. Was nicht heißt, dass sich nicht auch unter Alltagshelden, Freun-den oder Kollegen Charismatiker befinden.

Laut der amerikanischen Sozialpsychologin Amy Cuddy basiert Charisma auf zwei Kernfaktoren: Wärme und Kompetenz. Die Studien der Harvard-Professorin zeigen, dass Menschen, die beides kombinieren, als charismatischer wahrgenommen werden. Denn: Wärme allein macht sympathisch, aber nicht zwingend überzeugend.

Kompetenz allein wirkt dagegen oft kalt und distanziert. Hinzu kommt noch der Faktor Leidenschaft: Wer für ein Thema brennt, kann auch andere inspirieren. Kritiker halten dagegen: Man muss nicht immer mitfühlen, auch Berechnung kann bei anderen starke Emotionen auslösen.


John Antonakis, Professor für Verhaltensökonomie an der Universität von Lausanne, der zum Thema charismatische Führung forscht, identifizierte anhand von Nominierungsreden amerikanischer Präsidentschaftskandidat:innen die „Charismatic Leadership Tactics“, die den Ausgang der Wahl am stärksten beeinflussten: die Verwendung von bildlicher Sprache, Sprichwörtern und Anekdoten sowie nonverbale Signale wie Gestik und Mimik. In einer anschließenden Studie konnte nachgewiesen werden: Wer diese gezielt einsetzt, steigert seine Überzeugungskraft deutlich – und wirkt charismatischer.

Wie kann man Charisma entwickeln?

So gesehen wäre Charisma erlernbar. Aber: Charismatische Persönlichkeiten werden nicht nur gemocht oder anerkannt, weil sie gute Geschichten erzählen. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich andere in ihrer Gegenwart oder unter ihrer Führung aufgehoben fühlen müssen. Schließlich spielt immer auch die eigene Persönlichkeit eine Rolle: In einer Studie schrieben Angestellte ihren Vorgesetzten mehr Charisma zu, wenn sie sich ihnen ähnlich empfanden.

Charisma ist also immer ein Identifikationsangebot. Es entsteht dort, wo Menschen das Gefühl bekommen: Da ist jemand, der spricht, wie ich denke – oder der fühlt, was ich selbst nicht sagen kann. Es geht dabei nicht nur um Talent oder Wirkung, sondern auch um Haltung: die bewusste Entscheidung, wie man sich zeigt – mit Klarheit, Authentizität und Verantwortung für die eigene Wirkung.


Freddie Mercury Denkmal am Genfer See

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Die Bronzestatue von Freddie Mercury am Genfer See

Das gelingt nicht nur Politiker:innen und Führungspersönlichkeiten, sondern zeigt sich deutlich auch bei Künstler:innen: David Bowie mit seinem Stil zwischen Glamour und Rebellion, Freddie Mercury, der Exzentrik und Nähe zugleich auf die Bühne brachte, U2 mit ihren Konzerten als emotionalen Gemeinschaftserlebnisse.

Oder Taylor Swift, die es versteht, durch Texte und Auftreten Millionen das Gefühl zu geben, als würden sie einander verstehen. Unterschiedlich in Stil, Botschaft und Wirkung – aber alle mit dieser emotionalen Verbindung zum Publikum. Sie signalisieren Zugehörigkeit und Aufbruch zugleich. Je größer die Inszenierung, je glaubwürdiger die Botschaft, desto stärker wird Charisma wahrgenommen. Und es zeigt, dass es medial verstärkt wird. Als Update für den Begriff könnte vielleicht auch „Glamour mit Tiefgang“ fungieren.

Charisma lernen - geht das überhaupt?

Kann man Charisma lernen? Wohl kaum – und die Frage sollte eher lauten: Was kann man von charismatischen Menschen lernen? Ist der Charisma-Code geknackt? Sicher ist: Für mehr Charisma kann man an einzelnen Ausprägungen arbeiten. Zum Beispiel daran, wie man einen Raum betritt, ohne ihn zu dominieren – und dennoch alle Blicke auf sich zieht.

Das fängt beim äußeren Erscheinungsbild an. Nach dem Motto „dress to impress“ – dabei ist entscheidend, dass der Stil authentisch sowie dem Anlass und der Botschaft angemessen ist. Auch an der Körpersprache kann gearbeitet werden: Die klassische Power-Pose – eine aufrechte und offene Haltung – lässt einen selbstbewusster wirken und sich auch so fühlen. Sie beeinflusst sogar den Hormonspiegel: Der Testosteronspiegel steigt, während der Cortisolspiegel sinkt.

Das kann man sich von charismatischen Persönlichkeiten abschauen

Apropos Sprache: Menschen mit modulierter, tieferer Stimme werden als charismatischer wahrgenommen – sowohl von Männern als auch von Frauen, so eine britische Studie. Wichtig zudem: langsam sprechen, in Höhe und Betonung variieren, klar artikulieren (mit möglichst wenigen „Ähs“). Ein Sprech- oder Stimmtraining kann hier unterstützen.

Neurowissenschaftliche Untersuchungen zeigen außerdem, dass viel über direkten Augenkontakt läuft – er aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn, Menschen fühlen sich emotional stärker verbunden. Wichtig dabei: Wird der Augenkontakt gehalten, unterstützt von einem echten Lächeln oder einem Nicken, bekommt das Gegenüber noch stärker das Gefühl, wirklich gesehen zu werden.

Last but not least: Die Wahrnehmung sollte geschult werden. Dazu gehört, zu erkennen, mit welchen „Gaben“ man selbst ausgestattet ist oder wann man in einer Tätigkeit aufgeht und im Flow ist. Ebenso wichtig ist es, dem Gegenüber ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken und seine Stimmung zu lesen. Das hilft dabei, Präsenz zu zeigen. Fokussierung nützt zudem, Energien zu bündeln und souveräner aufzutreten.


All das erhöht die Wahrscheinlichkeit, als charismatisch wahrgenommen zu werden. Aber: Kein noch so intensives Training macht aus einem Menschen per se einen Charismatiker. Denn es ist letztlich immer Projektion – ein Echo, das im Kopf des Gegenübers entsteht. Charisma ist etwas, das einem zugeschrieben wird.

Auch dazu weiß die Forschung mehr: In einem Experiment der University of California be-kamen die Studierenden unterschiedliche Informationen darüber, wie Menschen in ihren Projekten erfolgreich wurden. Das Ergebnis: Je weniger sie wussten, wie viel Anstrengung hinter dem Erfolg stand, desto charismatischere Eigenschaften schrieben sie ihnen zu. Offenbar wird Charisma umso stärker wahrgenommen, je müheloser der Erfolg erscheint – es lebt vom Eindruck, nicht von der Anstrengung.

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