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17. Dezember 2025
Marie Hein
Von der Vorbereitung bis zur richtigen Technik: Eisbaden-Expertin Dr. Josephine Worseck verrät, wie Eisbaden das Herz-Kreislauf-System trainiert, Noradrenalin freisetzt und mentale Stärke aufbaut
Es gab viele Gründe, nicht in dieses eiskalte Wasser zu steigen. Josephine Worseck, promovierte Molekularbiologin und damals noch für ein Biotech-Unternehmen tätig, hätte an diesem Tag genug von ihnen gehabt: zu viele E-Mails, zu wenig Zeit, keine Badesachen. Und trotzdem stieg sie hinein. Ein kurzer Moment, der sich als Wendepunkt entpuppte.
Aus der spontanen Überwindung wurde eine berufliche Neuausrichtung, denn heute gehört sie zu den bekanntesten Kältespezialistinnen in Deutschland, ist Eisbaden-Trainerin, Yogalehrerin, Buchautorin und Gründerin der ICE-Academy. Seit 2024 bildet sie hier Eisbaden-Coaches aus und begleitet täglich Menschen, die nicht zufällig, sondern bewusst frieren wollen.
Im Interview spricht sie darüber, warum zwei Minuten im eiskalten Wasser mehr verändern können, als man denkt, weshalb Intuition manchmal wichtiger ist als das Thermometer und wie Kältexposition uns mental stärker machen kann.
Hand aufs Herz: Wie war denn das erste Mal im Eiswasser wirklich?
Vor allem gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Und das Gefühl danach hat mich nicht mehr losgelassen: Ich war glücklich, energiegeladen und euphorisch.
Eisbaden ist gerade sehr beliebt: Man sieht Eistonnen auf Balkonen, es gibt in vielen Städten richtige Communities, die gemeinsam in Seen steigen. Was macht die Menschen so süchtig nach Kälte?
Es ist wahrscheinlich genau dieses Gefühl danach. Das hilft übrigens auch bei Nieselwetter. Man muss sich das vorstellen wie beim Sport: Man hat nicht immer Lust, aber man weiß, wie gut es einem danach geht.
Wie gut extreme Kälte dem Körper tut, haben Sie viele Jahre erforscht und in Ihrem Buch "Die Heilkraft der Kälte" beschrieben. Welche positiven Effekte gehören für Sie zu den wichtigsten?
Zum einen schüttet der Körper Noradrenalin aus und das beim ersten wie auch beim tausendsten Mal. Es wirkt entzündungshemmend, aktiviert braunes Fettgewebe und damit den Stoffwechsel, hebt die Stimmung und macht fokussierter. Zudem unterstützt Eisbaden die Regeneration nach dem Sport und ist ein hervorragendes Herz-Kreislauf-Training: Bei Kälte ziehen sich die Blutgefäße zusammen, bei Wärme weiten sie sich wieder. Dieser Wechsel fördert die Durchblutung und ist ein echtes Workout für Herz und Kreislauf.

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Sehr lesenswert: Die Heilkraft der Kälte von Dr. Josephine Worseck
Das hört sich natürlich fantastisch an. Aber einfach so ins kalte Wasser springen sollte man wahrscheinlich nicht, oder?
Auf keinen Fall! Vor allem nicht am 1. Januar, völlig verkatert, aber mit guten Neujahrsvorsätzen. Das Wichtigste ist die Vorbereitung. Ich würde empfehlen, erst mal kalt zu duschen und das langsam zu steigern. Fühlt es sich gut an, kann man eine 15 Grad kalte Badewanne nehmen. So hat man schon viele positive Effekte und ist in einem sicheren Setting. Klappt das gut, kann man sie auf 10 Grad herunterkühlen. Bei Temperaturen darunter würde ich immer raten, jemanden zu suchen, der Erfahrung hat. Das kann ein Freund, eine
Eisbade-Community oder ein Coach sein. Damit das Eisbaden dauerhafte gesundheitliche Effekte hat, muss man sich regelmäßig und kontrolliert der Kälte aussetzen. Es ist wie mit Salat essen: Einmal im Monat ist schön, hat aber nur begrenzte Effekte.
Sagen wir, ich habe mich gut vorbereitet und stehe vor meinem Eiswasser. Was tue ich dann?
Die kürzeste Anleitung wäre: Man stellt sich vor das Bad, schließt die Augen, nimmt drei tiefe Atemzüge durch die Nase in den Bauch und entspannt die Schultern bei der Ausatmung. Oft hilft auch ein kleiner Seufzer, um den Körper auf das vorzubereiten, was nun kommt. Es ist wichtig, sich auch mental darauf einzustellen und sich zu fragen: Warum mache ich das eigentlich? Was ist meine Intention, ins Wasser zu steigen?
Und wie geht es danach weiter?
Dann läuft man langsam hinein. Erst bis zur Hüfte, dann gehen die Schultern unter Wasser. Jetzt gilt es, die Atmung zu beruhigen. Am besten zählt man 24 Atemzüge, das entspricht etwa zwei Minuten und dem absoluten Maximum im Eiswasser für Anfänger:innen. Danach wieder rauslaufen, abtrocknen, anziehen. Kein Alkohol, kein Kopfstand, keine Jumping Jacks. Und kein direktes Saunieren oder Whirlpool danach, das bringt das Herz-Kreislauf-System durcheinander.
Gibt es eine ungefähre Leitlinie für Anfänger:innen, wie lange sie im Wasser bleiben sollten?
Die Zweierregel: zweimal pro Woche, maximal zwei Minuten und immer zu zweit ins Wasser gehen. Wenn man das schafft, hat man die wichtigsten Vorteile bereits abgedeckt.
Entscheidend bleibt aber das eigene Körpergefühl. Wir alle sind unterschiedlich, haben verschiedene Lebensrealitäten, Herausforderungen und Gesundheitszustände. Am Ende muss jede:r selbst spüren, was guttut und was nicht.
Wie der Name schon sagt, heißt Eisbaden eben, dass man im Eis badet. Was macht man, wenn man keinen See, kein Schwimmbad oder ein Eisbecken vor der Tür hat?
Ein gewisser Kältereiz auf der Haut reicht schon aus, um ähnliche Effekte zu erzielen. Lufttemperaturen unter 18 Grad bewirken ebenfalls eine Noradrenalin-Ausschüttung. Man kann sich also, so leicht bekleidet wie möglich, einfach auf den Balkon stellen. Wer das nicht mag, aber dennoch etwas für sein Herz-Kreislauf-System tun möchte, kann auch Wechselduschen nehmen.
Das heißt, eigentlich muss ich gar nicht ins Eiswasser?
Hier kommt die Intuition ins Spiel. Das „ICE“ unserer Academy steht für „Intentional Cold Exposure“, also Kälteexposition mit Intention. Mein Partner, Mitbegründer, und ich glauben, dass die Motivation entscheidend ist. Deshalb sollte man sich vorher immer fragen: Was ist mein guter Grund, heute ins kalte Wasser zu steigen? Zur Regeneration nach dem Sport ist es laut Studienlage am besten, zehn Minuten in zehn Grad kaltes Wasser zu gehen.
Für mentales Training, also Stressresilienz, eignet sich ein Eisbad zwischen zwei und fünf Grad, weil die mentale Herausforderung hier am größten ist. Wer sich vor Kälte scheut, aber etwas für sein Herz-Kreislauf-System tun möchte, kann, wie gesagt, auch Wechselduschen nehmen.
Gerade als mentales Training wird Eisbaden ja besonders gefeiert. Inwiefern kann es auch ein Anti-Stress-Training sein?
Zunächst erlebt der Körper einen starken Stressimpuls: Der plötzliche Kältereiz aktiviert den Sympathikus, wir gehen in eine Art Fluchtmodus, Atmung und Puls schießen nach oben. Mit regelmäßiger Übung lernt man jedoch, bewusst in eine ruhige Nasen- und Bauchatmung zu wechseln.
Damit signalisieren wir dem Nervensystem: Alles ist in Ordnung und schalten in den parasympathischen Modus, in dem der Körper regeneriert. Dieses Umschalten mitten im Stressreiz ist ein super Training. Wer das regelmäßig übt, kann auch in beruflich belastenden Situationen gelassener reagieren, weil man gelernt hat, innerlich Ruhe herzustellen, selbst wenn das Außen turbulent bleibt.
Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob Frauen beim Eisbaden besonders vorsichtig sein sollten. Oft mit dem Argument, zu kaltes Wasser könne den Hormonhaushalt durcheinanderbringen. Was sagen Sie auch als Molekularbiologin dazu?
Ich habe bisher keine Studie gefunden, die zeigt, dass Eisbaden Frauen hormonell schadet. Oft wird auf Studien verwiesen, die dafür keinen Beleg liefern. Was man tatsächlich sieht: Frauen beginnen früher zu zittern und haben eine höhere subjektive Wohlfühltemperatur. Normalisiert man die Werte jedoch auf Körpervolumen und -oberfläche, verschwinden diese Unterschiede. Entscheidend ist also weniger das Geschlecht als die Körpermasse. Ein leichter Mann friert unter Umständen schneller als eine Frau mit mehr Muskel- oder Fettanteil. Das zeigt: Das Geschlecht allein sagt wenig darüber aus, wie gut jemand Kälte verträgt.
Das heißt, auch der Zyklus wird nicht vom Eisbaden beeinflusst?
Es wird viel behauptet, aber eine klare Evidenz habe ich nicht gefunden. Die Körperkerntemperatur steigt in der zweiten Zyklushälfte etwas an, einige leiten daraus eine höhere Kälteempfindlichkeit ab. Auch dafür gibt es keine klaren Daten. Am Ende sind wir als Frauen so unterschiedlich, dass das Körpergefühl wichtiger ist als jede Pauschalaussage. Für viele – auch für mich – kann Eisbaden in der zweiten Zyklushälfte sogar PMS-Symptome lindern; für andere ist es in dieser Phase vielleicht anstrengender. Das muss jede selbst herausfinden. Aber es gibt Studien, die zeigen, dass Eisbaden sich positiv auf den Cortisolspiegel auswirkt.
Inwiefern?
Es gibt eine Studie zu Frauen, die regelmäßig Eisbaden, bei denen der durchschnittliche Cortisolwert mit der Zeit deutlich sinkt. Auch die starke Cortisol- und Adrenalinreaktion, die man am Anfang beim Eisbaden hat, bleibt irgendwann aus. Der Körper lernt also, Kälte nicht mehr als große Bedrohung einzuordnen. Das ist wie beim ersten Referat in der Schule: Anfangs Herzklopfen, später denkt man nur noch: okay, kann ich.
Wichtig ist hier die Unterscheidung: Chronischer Stress in Beziehungen, im Job oder in der Familie ist tatsächlich gefährlich für Hormone. Kurze kontrollierte Stressimpulse wie Kälte, Hitze oder Sport sind etwas ganz anderes. Die tun uns eher gut.
Gibt es denn auch Menschen, die beim Eisbaden vorsichtig sein sollten?
Ein gesunder Mensch kann, gut vorbereitet und begleitet, problemlos zwei Minuten Eisbaden. „Gesund“ heißt vor allem: Herz-Kreislauf gesund. Wer unsicher ist, macht ein Belastungs-EKG. Menschen mit Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder akuten Infekten sollten nicht ins Eiswasser. Aber ein Körper, der Treppensteigen oder eine 90-Grad-Sauna schafft, kommt meist auch mit Kälte sehr gut klar.
Mehr Infos über Josephine Worseck, die ICE-Academy und einen Eisbade-Spickzettel gibt es auf ihrer Website.