1. Mai 2025
Barbara Markert
Das menschliche Lymphsystem liegt derzeit im Trend und beschäftigt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch Hollywood
Jennifer Aniston liegt flach und ist dick eingepackt in einem aufgeblähten Ganzkörper-Massageanzug, aus dem an allen vier Ecken Schläuche ragen. In diesem Mittelding zwischen Astronautenanzug und aufblasbarem Bügelautomat sieht der schlanke Hollywood-Star ein bisschen aus wie „Bibendum“, das dicklich-weiße Maskottchen des französischen Reifenherstellers Michelin.
Das bizarre Selfie aus dem Sportstudio, von Aniston selbst veröffentlicht, ging in den USA viral und befeuerte einen wahren Hype auf Lymphdrainagen. In den Fitnessstudios liefen die Reservierungen für den „Body Ballancer“ heiß. Manche, die sich es leisten konnten, kauften den 8500 US-Dollar teuren Bibendum-Drainage-Anzug gleich direkt für die Anwendung zu Hause. Denn wenn Jennifer Aniston, die mit ihren 56 Jahren scheinbar jedes Cellulitis-Pölsterchen einfach weglächeln kann, eines ihrer Beauty-Geheimnisse verrät, dann überlegen ihre Fans nicht lange und machen es ihr nach. Vor allem, wenn auch andere Berühmtheiten wie Hailey Bieber, Paris Hilton oder Chrissy Teigen darauf schwören.
Über das neu erweckte Interesse an Lymphmassagen, Drainagen und Gesichtsmassagen, zum Beispiel mit dem GuaSha-Stein, freut sich besonders auch Professor Michael Detmar. Denn als sich der deutsche Wissenschaftler und Dermatologe 1995 in Harvard auf das Fachgebiet der Lymphgefäße spezialisieren wollte, erntete er für sein Wahl nur Unverständnis. „Man riet mir eindringlich davon an. Das Gebiet sei ein wahrer Karrierekiller. Ich solle mich lieber den Blutgefäßen widmen.“ Das Lymphsystem galt damals als uninteressant. Es sei schwierig zu erforschen und außerdem wenig bedeutsam. „Man dachte zu dieser Zeit, dass es sich ausschließlich um eine Art Kanalisationssystem für Gewebswasser handelt.“
Heute ist man viel weiter. Lymphdrüsen gelten als wichtige Filterstationen des Körpers, spielen eine entscheidende Rolle als Frühwarnsystem, um beginnende Krankheiten festzustellen, und später, um genau diese Erkrankungen abzuwehren. Die Gesundheit zahlreicher Organe hängt mit dem System zusammen, und genau deshalb rücken die Lymphgefäße zunehmend auch bei der Krebs- und Alzheimer-Forschung wie auch bei Herz- und Lungenkrankheiten ins Blickfeld. „Dieses Forschungsgebiet hebt derzeit im wahrsten Sinne des Wortes ab. Es vergeht kaum eine Woche ohne neue Artikel und Entdeckungen“, so Detmar.
Einige dieser Entdeckungen gehen auch auf das Konto des gebürtigen Stuttgarters zurück, der inzwischen seit vielen Jahren an der ETH Zürich lehrt. Wie zum Beispiel, dass die Gehirnflüssigkeit – der Liquor – den Hirnraum nicht über die Blutgefäße, sondern über das Lymphsystem verlässt, oder dass Tumore Lymphgefäße haben können. „Das war einst ein Dogma, mit dem wir gebrochen haben. Heute ist das etabliertes Fachbuchwissen. Viele Entdeckungen hängen auch von neuen Technologien oder der Entwicklung der künstlichen Intelligenz ab. Gerade erst wurde ein neues Molekül entdeckt, das spezifisch für die Muskeln der Lymphgefäße ist. Ich bin optimistisch, dass wir es irgendwann schaffen, die Lymphgefäße steuern zu können, um Entzündungen zu hemmen oder Krankheiten einzudämmen.“
Bis dahin hat das Lymphsystem auch sonst genügend zu tun. „Es durchzieht den ganzen menschlichen Körper und hat die Aufgabe einer Art Müllabfuhr“, so der Professor. Das sehr fragile System transportiert Wasser, das von den Blutgefäßen abgegeben wird, und Schadstoffe, wie den Stoffwechselabfall der Epidermis, zu Sammelpunkten, den sogenannten Lymphknoten. Zwischen 600 bis 700 dieser im Alltagsjargon als Lymphdrüsen bezeichneten Auffangbecken gibt es im menschlichen Körper. Viele davon befinden sich am Hals, in den Achseln und den Leisten. An diesen Punkten wird gefiltert und gereinigt. Müssen zum Beispiel Viren abgewehrt werden, schwellen diese Drüsen an, weil sei mehr verarbeiten müssen. Bildlich gesprochen füllt sich dann der Müllsack des Systems. „Der ganze Inhalt aller Lymphgefäße wird danach in den Schulterbereich gepumpt, wo er in zwei großen Venen mündet, die das gereinigte Gewebswasser wieder zurück in die Blutzirkulation geben beziehungsweise die Schadstoffe in die Leber zur Entgiftung und die Niere zum Ausscheiden absondern.“
Krebstumore können dieses wichtige Reinigungssystem stören oder es nutzen, Metastasen weiter zu streuen. Deshalb werden oft vor allem bei Brustkrebspatienten Lymphknoten entfernt. „Allerdings wird diese Methode heute in Kongressen zunehmend kritisch diskutiert. Ob das in zehn Jahren noch so gehandhabt wird, muss man sehen“, sagt Detmar. Fakt ist auch, dass im Alter das Lymphsystem bei jedem Menschen abbaut und porös wird. Auch Hormonumstellungen haben Auswirkungen auf die Funktionalität. „Das ist zwar noch nicht bis ins Detail erforscht, aber wir wissen um den Einfluss der Östrogene auf die Lymphgefäße wie auch auf die Blutgefäße. Letztere werden zum Teil durchlässiger, wodurch wieder mehr Flüssigkeit ins Gewebe kommt, was wiederum die Lymphgefäße überfordern kann.“
Besonders schädigend für das menschliche Abwassersystem sind UV-Strahlen. „Hier haben Studien eine direkte Schädigung nachgewiesen: Die Lymphgefäße werden porös. Es kommt zu einer unterschwelligen Entzündungsreaktion, die die Funktionen des Systems stark einschränken kann.“ Die Folge ist Hautalterung. Das weit verzweigte Lymphsystem der Haut befindet sich in der Dermis, wo es an Bindegewebsfasern andockt und für Elastizität sorgt. Kann es dort nicht in ausreichendem Maße das Gewebswasser und die Schadstoffe wegtransportieren – sei es, weil die Kollagene und elastischen Fasern absterben, das System löchrig geworden ist oder verletzt wurde –, kommt es zu Einlagerungen, Schwellungen und abnehmender Elastizität.
Vor allem Brustkrebspatientinnen klagen nach Operationen oft über geschwollene Arme und Lymphödeme, verursacht durch eine Beschädigung der Lymphgefäße während des Eingriffs. Auf der Suche nach der Ursache und einem Medikament untersuchte Prof. Michael Detmar zusammen mit seinem damaligen Doktoranden Dr. Epameinondas Gousopoulos über 2000 Pflanzenextrakte. Das passende Medikament haben die beiden Forscher dabei zwar nicht gefunden, dafür aber einen Wirkstoffkomplex, der sich positiv auf die Lymphgefäße auswirkt und so die Hautalterung verzögern kann.
Dr. Epameinondas Gousopoulos hatte schließlich die Idee, aus dieser Entdeckung eine kosmetische Pflegelinie zu entwickeln: Iräye kam 2020 auf den schweizerischen Markt und ist inzwischen auch in Deutschland erhältlich. Professor Michael Detmar wundert sich noch heute über diesen Schritt von der Wissenschaft in die Kosmetikindustrie: „Hätte man mir gesagt, dass ich irgendwann einmal eine Pflegelinie auf den Markt bringen würde, hätte ich das nie geglaubt. Die Entdeckung war ein Nebeneffekt unserer Forschung, nichts mehr. Wir hätten die Erkenntnisse auch an eine bekannte Beauty-Marke verkaufen können, aber dann haben wir uns entschlossen, sie selbst auf den Markt zu bringen.“
Die neue Doktor-Brand erhielt von Anfang an eine hohe mediale Aufmerksamkeit, was wiederum positiv auf das Forschungsgebiet zurückstrahlt. Prof. Detmar: „Auch in der Dermatologie steigt nun das Interesse am Lymphsystem. Ich sehe das an den Einladungen zu Konferenzen und Vorträgen. Die Menschen sind extrem neugierig geworden. Denn die meisten wissen gar nicht, dass sie ein Lymphgefäß in der Haut besitzen.“
Zehn Jahre Forschungsarbeit stecken in den Produkten von Iräye. Ein Wirkstoffkomplex aus fünf Pflanzenextrakten stimuliert die lymphatische Aktivität der Haut und lässt sie wieder strahlen
Professor Dr. Michael Detmar über den von ihm entwickelten Pflegecocktail für das Lymphsystem
Was bedeutet der Name Iräye?
Es ist ein Wortschöpfung aus dem englischen Wort „I“ (ich) und „radiance“ (Strahlen), also: „Ich strahle“. Denn die Pflege soll die Haut zum Strahlen bringen.
Die Basis Ihrer Forschung für Iräye war eine Sammlung von Pflanzenextrakten?
Ja, wir hatten von einem Kollegen eine Sammlung von Pflanzenextrakten bekommen. Doch zuerst mussten wir einen Test entwickeln, mit dem sich nachweisen lässt, dass man Lymphgefäße aktivieren kann. Das hat allein fast drei Jahre gedauert. Dann haben wir 2000 Pflanzen untersucht, um am Ende eine Kombination von fünf Extrakten zu finden, die am besten zusammenwirken. Insgesamt sprechen wir von zehn Jahren Forschungsarbeit.
Besteht denn die Creme mit diesem Pflanzencocktail ausschließlich aus Naturprodukten?
Sie besteht zu 96 bis 98 Prozent aus Naturprodukten. Serum, Creme und Augencreme haben jeweils unterschiedliche Prozentsätze. Eine Hautpflege, die wirklich gut funktionieren soll, kann meiner Meinung nach niemals zu 100 Prozent auf natürlicher Basis sein. Man muss bestimmte andere Inhaltsstoffe hinzufüge, sonst wären die Anwender nicht vollkommen zufrieden.
Sie meinen beispielsweise Hyaluron oder Retinol?
Genau, das ist heute fast schon Standard. Wir nutzen ein Bio-Retinoid, das extrem wichtig ist, um die Kollagensynthese zu aktivieren. Dies strafft die Haut. Dazu kommen Vitamin E und Vitamin C als Antioxidantien, um die Schädigung der Haut durch äußere Einflüsse zu reduzieren. Und bei der Augenpflege kommt auch noch Koffein zum Einsatz. Nur allein die Lymphgefäße zu aktivieren, wäre nicht ausreichend, um Effekte zu sehen.
Was genau bewirkt der Pflanzenkomplex?
Ich erkläre das immer an diesem Beispiel: Viele Leute gehen ins Fitnessstudio, um ihre Muskeln zu trainieren. Hört man damit auf, altern die Muskeln. Auch die Haut will trainiert werden. Nur auf diese Idee kommt kaum jemand. Mit der von uns entwickelten Hautpflege trainieren wir die Lymphgefäße, damit sie fit bleiben und weniger stark altern.
Wie zeigt sich das nach außen hin?
Es gibt drei verschiedene Wirkungen. Bei der Augencreme ist der erste akute Effekt am besten sichtbar: Augenschwellungen gehen relativ rasch zurück. Die zweite Wirkung ist ein anti-entzündlicher Effekt: Hautrötungen oder Schwellungen werden über die Zeit weniger. Drittens, der präventive Effekt: Das Altern der Lymphgefäße wird durch ständige Aktivierung hinausgezögert.
Löchrige oder poröse Gefäße kann die Creme aber nicht reparieren?
Wir können auf Lymphgefäße einwirken, die noch da sind. Die, die nicht mehr da sind, die können wir nicht mehr zurückzaubern. Die sind für immer verloren.
Zeigt die Creme auch Wirkungen bei medizinischen Hautproblemen, wie etwa Akne oder Rosacea?
Iräye ist mehr als eine reine Anti-Aging-Creme, weil sie auch noch andere Effekte zeigt. Die Aktivierung der Lymphgefäße spiegelt sich direkt im Erscheinungsbild wider: Die Haut wird strahlender, straffer, die Schwellungen gehen zurück. Aber wir dürfen und wollen auch nicht behaupten, dass wir ein Medikament haben. Diese Unterscheidung ist streng geregelt. Wir wissen zwar aus dem Feedback von Benutzerinnen, dass Probleme wie Rosacea – also eine Rötung im Gesichtsbereich bei sehr empfindlicher und leicht entzündlicher Haut – besser werden, doch wir haben dazu keine kontrollierte Studie gemacht, weil wir eben kein Medikament entwickeln wollten.
Was macht nun eine Frau, die sich Botox gespritzt und das ganze System damit gelähmt hat?
Botox lähmt die Muskulatur, die wir eigentlich brauchen, um die Lymphgefäßaktion zu unterstützen. Deswegen haben viele Botox-Nutzer auch oft geschwollene Hautpartien, weil die Lymphgefäße die Flüssigkeit nicht mehr so gut abtransportieren können. Die Idee ist, dass man Botox mit unserer Creme oder dem Serum kombiniert, um dem entgegenzuwirken. Damit könnte man erreichen, dass Botox-Nutzer weniger „puffy“, also aufgedunsen, wirken.
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Christine Bürg, Marianne v. Waldenfels