Warum der weibliche Darm anders funktioniert

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Die weiblichen Sexualhormone können über Rezeptoren auch am Darm wirken, so Professor Seiderer-Nack

27. Juni 2025

Marianne Waldenfels

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  • Frauengesundheit

Warum der weibliche Darm anders funktioniert

Prof. Dr. med. Julia Seiderer-Nack, Fachärztin für Innere Medizin und Ernährungsmedizinerin, erklärt, warum Frauen doppelt so häufig an Darmproblemen leiden wie Männer und wie sich Reizdarm, Endometriose, Histaminintoleranz oder PCOS lindern oder heilen lassen

Darmprobleme? Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer! Denn Hormone, die Darm-Hirn-Achse und das Mikrobiom sind eng miteinander verbunden, so Prof. Dr. med. Julia Seiderer-Nack. Die Fachärztin für Innere Medizin und gefragte Expertin rund um das Thema Darmgesundheit erklärt ihrem neuen Buch "Frauen haben anders Darm" unter anderem den Zusammenhang zwischen dem Darm und Krankheiten wie Endometriose, Reizdarm oder PCOS, warum eine mikrobiom freundliche Ernährung wichtig ist - und welche Hacks gegen Beschwerden helfen.

Warum sind mehr als 70 Prozent der Reizdarm-Betroffenen weiblich?

Das ist eine gute Frage, die wir uns in der Medizin bisher viel zu wenig gestellt haben und zu der wir auch noch zu wenig Wissen haben – gender health gap lässt grüssen. Gerne wird argumentiert, dass Frauen häufiger zum Arzt gehen, im Vergleich zu Männern offener über Verdauungsbeschwerden sprechen und daher auch häufiger die Diagnose Reizdarm gestellt wird.

Auch werden Frauen mehr Stress oder psychische Belastung zugesprochen, die bei frauen-typischen Schmerzerkrankungen wie Migräne, Fibromyalgie oder Reizdarm dann eben oft eine schnelle Erklärung sind. Was wir bisher aber zu wenig im Blick hatten, sind wissenschaftlich durchaus messbare Unterschiede zwischen Mann und Frau im Darm, die uns für das Verständnis von Reizdarm und auch die Therapie neue Blickwinkel ermöglichen könnten.

Woran erkenne ich eigentlich, dass ich an einem Reizdarm leide?

Ein Reizdarm ist erstmal eine Ausschlussdiagnose – wenn ich also über längere Zeit unter Verstopfung, Bauchschmerzen, Durchfall oder Blähungen leide, muss mittels Laborwerten, Stuhlproben und einer Magen- und Darmspiegelung ausgeschlossen werden, dass andere Erkrankungen wie z.B. eine Infektion, eine Zöliakie oder eine chronische Darmentzündung hinter diesen Beschwerden steckt. Ist der Darm in diesen Untersuchungen organisch gesund und die Patientin hat trotzdem diese Beschwerden, ist ein solcher Reizdarm wahrscheinlich.

Was sind denn die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Därmen?

Frauendärme sind nicht nur nachbarschaftlich eingeengt durch die Gebärmutter und etwas länger, sondern oft auch gechillter: der Nahrungsbrei wird langsamer durch die Darmschlingen geschoben, daher neigen wir eher zur Verstopfung. Auch haben wir ein anderes Darmmikrobiom, also eine andere Zusammensetzung der Bakterienarten im Darm und zeigen Unterschiede in der Stärke unserer Immunabwehr, z.B. nach Infekten oder bei Autoimmunerkrankungen.

Und ganz wichtig: Auch der Darm wird durch weibliche Sexualhormone beeinflusst, sei es in Sachen Transportgeschwindigkeit oder auch im Schmerzempfinden. Frauen zeigen häufiger ein verstärktes Schmerzempfinden im Bauchraum (viszerale Hypersensitivität), die nicht nur bei Endometriose, sondern auch beim Reizdarm eine Rolle spielen kann und durch den Hormonspiegel beeinflusst sein kann.


Julia Seiderer-Nack

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Prof. Dr. med. Julia Seiderer-Nack, Fachärztin für Innere Medizin und Expertin rund um das Thema Darmgesundheit

Wie beeinflussen die weiblichen Hormone den Darm?

Die weiblichen Sexualhormone können über Rezeptoren auch am Darm wirken – so wissen wir z.B. dass das Hormon Progesteron die Transportgeschwindigkeit der Nahrung im Darm verlangsamt, der Darm also träge wird und zu Verstopfung neigt. Das beobachten wir nicht nur während Schwangerschaften, sondern oft auch in der zweiten Zyklushälfte.

Andererseits hat z.B. Östrogen auch Einfluss auf unser Schmerzempfinden – und damit eben auch darauf, wie stark wir Signale aus einem gereizten Darm auch wahrnehmen. Zudem besteht ein enges Wechselspiel mit Gewebshormonen wie Histamin und Prostaglandin. Daher ist es nicht erstaunlich, dass manchen Patientinnen zyklusabhängig vermehrt Darmbeschwerden bekommen oder der Darm in Phasen der hormonellen Umstellung (z.B. Wechseljahre) auch zickiger werden kann.

Was haben Erkrankungen wie PCOS und Endometriose mit dem Darm zu tun?

Zum einen beobachten wir, dass ca 20-30% aller Patientinnen mit PCOS und Endometriose gleichzeitig auch einen „Reizdarm“ haben – das lässt natürlich aufhorchen und einen Einfluss von Hormonbalance und Mikrobiom auf Entzündungsprozesse vermuten. Und tatsächlich zeigt uns die Wissenschaft, dass Patientinnen mit PCOS häufig einen durchlässigen Darm (Leaky gut) haben; bei Patientinnen mit Endometriose finden wir häufig eine veränderte Zusammensetzung des Darmmikrobioms, die wohl auch mit dem Hormonspiegel und Entzündungsprozessen in Zusammenhang zu bringen ist.


Cover Frauen haben anders Darm

"Frauen haben anders Darm", GU Verlag

Was genau ist eigentlich die Darm-Hirn-Achse und was bewirkt sie?

Die Darm-Hirn-Achse ist kein dickes Kabel in unserem Körper. Der Begriff beschreibt die komplexe und wechselseitige Kommunikation zwischen dem Nervensystem des Darms und dem zentralen Nervensystem, also unserem Gehirn. Diese beiden Systeme sind über Hormone, Neurotransmitter, Botenstoffe und auch das vegetative Nervensystem in ständigem Austausch.

Eine gute Verbindung ist nicht nur für eine geregelte Verdauung wichtig, sondern hat viel weitreichendere Wirkung – z.B. auch auf unsere Emotionen, Reizverarbeitung, Immunsystem oder Hormonbalance. Interessanterweise gehen 90% der Kommunikation von Darm Richtung Gehirn – das, was der Darm und sein Mikrobiom zu sagen hat, ist also für unsere Schaltzentrale im Kopf durchaus relevant.

Wie sieht das perfekte, gesunde Mikrobiom aus?

Diese Frage kann die Wissenschaft bis heute nicht klar beantworten, dazu ist dieses Ökosystem und seine Auswirkungen auf unsere Gesundheit zu komplex. Wir wissen aber, dass eine hohe Artenvielfalt in unserem Darm wichtig und mit Gesundheit assoziiert ist, ebenso möchten wir keine krankmachenden oder entzündungsfördernden Bakterien im Darm haben. Und wir wissen z.B. auch, dass manche Bakterienarten besonders wichtig sind: für unser Immunsystem, die Darmbarriere oder auch die Bildung von entzündungshemmenden Fettsäuren.

Wie verändert sich das Mikrobiom des Darms in den Wechseljahren?

Das Mikrobiom des Darm bildet sich in den ersten drei Lebensjahren zu einem weitgehend stabilen Ökosystem aus, mit Einsetzen der Pubertät zeigen sich jedoch unter Einfluss der Hormone Unterschiede in der Zusammensetzung zwischen Männern und Frauen-Mikrobiom.


Und wir wissen heute, dass das Mikrobiom in den Wechseljahren sich erneut wieder verändert, z.B. in der Artenvielfalt, aber auch im Vorkommen der verschiedener Arten. Interessanterweise wird das Frauen-Mikrobiom nach der Menopause dem der Männer wieder ähnlicher. Wissenschaftler vermuten, dass diese Veränderungsprozesse und die damit veränderte Bildung von Stoffwechselprodukten auch mit dem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Übergewicht und Osteoporose zu tun haben könnten.

Woraus besteht eine aufbauende Ernährung für Mikrobiom und Darmbarriere?

Ganz wichtig für ein gesundes und artenreiches Mikrobiom sind ausreichend Ballaststoffe, also mindestens 30 Gramm an Gemüse, Vollkornprodukten und Obst pro Tag. Eine pflanzenbasierte faserhaltige Kost ist also eine gute Basis, ebenso eine anti-entzündliche Ausrichtung mit hochwertigen Omega-3-Fettsäuren und der Verzicht auf industrielle hochprozessierte Lebensmittel – letztere können aufgrund ihrer zahlreichen Zusatzstoffe und ungesunden Fettsäuren die Darmbarriere und auch das Mikrobiom schädigen.

Hilfreich für das Mikrobiom sind zudem Nahrungsmittel, die von Natur aus wertvolle Bakterien wie Laktobazillen und Bifidobakterien enthalten, also probiotisch sind. Beispiele dafür sind z.B. Kefir, Naturjoghurt, Sauerkraut, rote Beete oder fermentiertes Gemüse.


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