© Adobe Stock
Ginseng ist in der Naturheilkunde Asiens seit Jahrtausenden ein geschätzter Begleiter in Phasen geistiger Erschöpfung
10. Juni 2025
Hanja Niederhammer
Ginseng wird längst nicht mehr nur bei Erschöpfung eingesetzt - auch seine mögliche Wirkung bei Stress und depressiven Verstimmungen rückt zunehmend in den Fokus der Forschung
Die traditionsreiche Wurzel gilt als potenter Pflanzenstoff mit vielfältigen Effekten auf das zentrale Nervensystem. Dieser Artikel gibt einen aktuellen Überblick: Welche Wirkmechanismen werden diskutiert - und in welchen psychischen Anwendungsbereichen könnte Ginseng unterstützend wirken?
Ob als Tee, Tinktur oder Kapsel - Ginseng ist in der Naturheilkunde Asiens seit Jahrtausenden ein geschätzter Begleiter in Phasen geistiger Erschöpfung. Seine Herkunft ist sagenumwoben: In der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) wird Panax ginseng als „Qi-Tonikum“ verehrt - also als Mittel zur Stärkung der Lebensenergie. Schon früh hieß es, die Wurzel stärke den Geist und beruhige das Herz. In Korea, China und Japan wurde sie bei Melancholie, Konzentrationsproblemen und allgemeiner Schwäche eingesetzt.
Der Name Panax stammt aus dem Griechischen und bedeutet „alles heilend“ - eine Anspielung auf das breite Wirkspektrum der Pflanze.
Ginseng ist nicht nur eine Wurzel mit Geschichte - sondern auch eine mit wachsender wissenschaftlicher Relevanz. Was einst als Qi-stärkendes Tonikum in der traditionellen Heilkunde galt, rückt heute immer stärker in den Fokus moderner Forschung. Eine aktuelle Übersichtsarbeit , die 19 systematische Reviews ausgewertet hat, zeigt: Ginseng kann bei psychischen Belastungen wie Stress, Erschöpfung, depressiven Symptomen und mentaler Müdigkeit unterstützend wirken.
Klinische Studien zeigen: Ginseng kann Konzentration, Reaktionszeit und geistige Leistungsfähigkeit verbessern. Zudem gibt es Hinweise auf zellschützende Effekte im Gehirn.
Besonders faszinierend ist, wie tief die Wurzel dabei biochemisch eingreift: Ginsenoside fördern etwa die Ausschüttung der Glücksbotenstoffe Dopamin und Serotonin, beeinflussen die HPA-Achse - das hormonelle Stresszentrum des Körpers - und wirken entzündungshemmend auf innerliche Prozesse. Ginseng macht also nicht einfach „wach“, sondern wirkt regulierend - dort, wo unser inneres Gleichgewicht ins Wanken gerät.
Die Autor:innen der Übersichtsarbeit betonen jedoch: Viele der bisherigen Studien waren in ihrer methodischen Qualität noch begrenzt - das heißt, die beobachteten Effekte sind vielversprechend, aber nicht endgültig gesichert. Ginseng-Forschung ist ein lebendiges Feld. Sie liefert keine einfachen Wahrheiten, sondern Hinweise - und immer neue Fragen. Doch genau das macht sie so spannend.
© Adobe Stock
Ginsenoside sind die zentralen Träger der pharmakologischen Wirkung von Ginseng
Ginsenoside - das sind die zentralen Wirkstoffe im Ginseng. Über 100 dieser bioaktiven Pflanzenstoffe wurden bislang identifiziert. Sie wirken wie fein abgestimmte Schalter im Körper, die tief ins Nervensystem eingreifen und Ginseng so interessant für die Psyche machen.
Studien beschreiben Ginsenoside als zentrale Träger der pharmakologischen Wirkung von Ginseng. Drei von ihnen - allen voran Rb1, Rg1 und Rd - stehen besonders im Fokus der Forschung zur psychischen Gesundheit. Denn sie beeinflussen genau das, was bei Stress, Erschöpfung oder depressiven Verstimmungen oft aus dem Gleichgewicht geraten ist: unsere Botenstoffe, unser Stresssystem - und sogar die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu regenerieren.
Rb1: Beruhiger fürs Gehirn
Wirkt nervenschützend, hemmt Entzündungen und fördert BDNF - wichtig für Regeneration und neuronale Verbindungen.
→ Am stärksten enthalten in: Panax quinquefolius (amerikanischer Ginseng)
Rg1: Stimmungsmacher mit Fokus-Effekt
Aktiviert Serotonin und Dopamin, fördert Konzentration und hebt die Stimmung.
→ Am stärksten enthalten in: Panax ginseng (insbesondere roter Ginseng)
Rd: Stressregulator
Könnte die Cortisolproduktion senken und so übermäßige Stressreaktionen abschwächen - relevant bei Erschöpfung.
→Am stärksten enthalten in: Panax ginseng
Ginseng ist nicht gleich Ginseng - und auch bei der Frage nach der Wirkung auf die Psyche kommt es darauf an, von welchem Ginseng wir eigentlich sprechen. Je nachdem, kann die Wurzel eher beruhigen oder beleben.
Schon gewusst? Roter Ginseng hat’s in sich
Eine vergleichende Analyse der Inhaltsstoffe bestätigt: Die Rg1- und Rb1-Verteilung unterscheidet sich deutlich je nach Ginseng-Art - und bestimmt maßgeblich deren Wirkung auf Stimmung und Stressregulation.
Eine Übersichtsarbeit über die klinischen Effekte von Ginseng zeigt: Die heilkräftige Wurzel kann biochemische Kaskaden regulieren, die mit psychischem Wohlbefinden direkt zusammenhängen. Dazu gehören:
Was all diese Wirkbereiche verbindet: Sie greifen tief in das neuroendokrine System ein - also in das Zusammenspiel von Nerven und Hormonen. Und genau hier entfaltet Ginseng sein adaptogens Potenzial.
© Freepik
Ginseng kann gegen Burnout unterstützend wirken
Depressionen gelten heute als komplexe Störung biologischer Systeme im Körper - vor allem im Gehirn. Eine zentrale Rolle spielen dabei Neurotransmitter, Stresshormone und die Regeneration von Nervenzellen.
In der Forschung wird inzwischen untersucht, ob und wie pflanzliche Stoffe wie Ginsenoside auf diese Prozesse Einfluss nehmen können.
Bei einer Depression ist oft die Kommunikation zwischen den Nervenzellen gestört. Der Grund: Botenstoffe wie Serotonin oder Dopamin, die maßgeblich unsere Stimmung und Motivation beeinflussen, sind in ihrer Verfügbarkeit oder Wirkung verändert. Einige Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Ginsenoside - etwa Rg1 und Rb1 - die Ausschüttung dieser Neurotransmitter fördern könnten. Ob das therapeutisch bedeutsam ist, wird derzeit weiter untersucht.
Auch das Stresssystem des Körpers, die sogenannte HPA-Achse, steht bei Depressionen im Fokus. Chronisch erhöhte Cortisolspiegel gelten als möglicher Auslöser für neuronale Veränderungen - etwa im Hippocampus, einem Areal, das für Emotionen und Gedächtnis wichtig ist. Ginseng-Extrakte werden in Studien daraufhin analysiert, ob sie die Aktivität dieser Achse modulieren und so zur Stressregulation beitragen könnten.
So zeigte sich beispielsweise in einer Tierstudie, dass Ginseng-Extrakte in einem Mausmodell für Depression sowohl den Cortisolspiegel als auch die Konzentration entzündungsfördernder Botenstoffe deutlich senken konnten.
Neuere Ansätze sehen auch entzündliche Prozesse im Gehirn als wichtigen Mitverursacher depressiver Symptome. Im Tierversuch zeigten bestimmte Ginsenoside entzündungshemmende Eigenschaften und eine Aktivierung des Proteins BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor), das für den Erhalt und das Wachstum von Nervenzellen wichtig ist. Ob diese Effekte auch beim Menschen eine Rolle spielen, ist Gegenstand laufender Forschung.
BDNF - der Brain-Derived Neurotrophic Factor ist ein Protein, das das Wachstum, die Reifung und die Regeneration von Nervenzellen fördert - und gilt als Schlüssel für emotionale Stabilität.
Und Ginseng?Bestimmte Ginsenoside (z. B. Rg1) können die BDNF-Produktion ankurbeln - besonders im Hippocampus.
→ Auf den Punkt gebracht: Ginseng könnte mit seiner adaptogenen Wirkung dem Gehirn helfen, sich selbst zu stärken - besonders in Phasen von Stress oder seelischer Erschöpfung.
Wenn der Akku leer ist, der Schlaf nicht mehr erholt und selbst Kleinigkeiten überfordern, spricht man oft von Burnout. Medizinisch betrachtet steckt dahinter meist eine chronische Überlastung der HPA-Achse - also des hormonellen Stresssystems.
Spannend in diesem Zusammenhang: Eine Laborstudie aus China untersuchte, wie Ginseng auf Nebennierenzellen wirkt - also genau jene Zellen, die bei Stress das Hormon Cortisol ausschütten.
Das Ergebnis: Das Ginsenosid Rd, ein Wirkstoff aus Panax ginseng, konnte die durch Stresshormon-Stimulation ausgelöste Cortisolproduktion deutlich dämpfen. Der zugrunde liegende Signalweg wurde gezielt blockiert.
Ginseng gilt damit als möglicher Ansatz bei Erschöpfung und wird zunehmend als potenzieller Therapiebaustein bei stressbedingten Störungen diskutiert.Anders gesagt: Ginseng könnte gegen Stress helfen - und zwar, indem er den Stresskreislauf genau dort bremst, wo er entsteht.
Ginseng wird auch im Zusammenhang mit Konzentration, Gedächtnis und Aufmerksamkeit erforscht. Doch kann eine Wurzel wirklich helfen, wenn der Kopf einfach nicht mehr mitmacht?
In placebo-kontrollierten Studien zeigte ein standardisierter amerikanischer Ginseng-Extrakt (Cereboost™) bereits nach einer Einzeldosis verbesserte Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit bei jungen Erwachsenen - nach zwei Wochen täglicher Einnahme verstärkten sich die Effekte.
Damit rückt Ginseng als mögliche pflanzliche Unterstützung in den Fokus - nicht für „mehr Leistung um jeden Preis“, sondern für mehr Klarheit, Fokus und geistige Präsenz im Alltag.
Die hormonelle Umstellung in den Wechseljahren betrifft nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. Wenn der Östrogenspiegel sinkt, berichten viele Frauen über Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Schlafstörungen oder Konzentrationsprobleme. Auch hier könnte Ginseng eine natürliche Möglichkeit sein, das innere Gleichgewicht zu stärken.
Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022 analysierte 15 placebo-kontrollierte Studien zur Wirkung von Ginseng bei menopausalen Beschwerden.
Das Ergebnis: Im Vergleich zu Placebo konnte Ginseng typische Symptome wie Hitzewallungen spürbar lindern - und in mehreren Studien verbesserte sich auch die Lebensqualität der Teilnehmerinnen. Ob als pflanzlicher Ausgleich in Umbruchphasen oder zur psychischen Stabilisierung: Ginseng könnte für viele Frauen ein spannender Begleiter sein - ganz ohne Hormonersatz.
Ginseng ist kein Phytoöstrogen - wirkt aber dennoch unterstützend in den Wechseljahren.
Studien zeigen: Weder roter koreanischer Ginseng noch andere Varianten beeinflussen nachweislich Östrogenspiegel, FSH oder endokrine Marker. Auch auf Endometrium oder sexuelle Funktion wurde kein Effekt festgestellt.
→ Der Nutzen liegt woanders: Ginseng kann typische Beschwerden wie Schlafprobleme, Stimmungsschwankungen und Erschöpfung lindern - ohne direkt ins Hormonsystem einzugreifen.