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Dr. Andrea Gartenbach: "Medizinisches Profiling ist der Versuch, den Menschen in seiner biologischen Gesamtheit zu verstehen"
30. Juni 2025
Dr. Andrea Gartenbach
Dr. Andrea Gartenbach ist Fachärztin für Innere- und Funktionelle Medizin, Expertin für Longevity und ehemalige Leistungssportlerin. In ihrer aktuellen Kolumne für Premium Medical Circle erklärt sie, warum Standard-Diagnostik oft zu kurz greift und was Gesundheitsprofile leisten können
Viele Menschen gelten offiziell als gesund – und fühlen sich doch nicht so. Denn Normwerte bedeuten nicht unbedingt gleich, dass jemand nicht krank ist, deswegen greift die Standarddiagnostik oft zu kurz. Gezieltes medizinisches Profiling zeigt, was moderne Präventionsmedizin wirklich leisten kann.
Müdigkeit, Schlafprobleme, Gewichtszunahme, Gereiztheit, Infektanfälligkeit: All das bleibt oft unbeachtet, solange die Standardwerte im „Normbereich“ liegen. Diese Normwerte beruhen jedoch auf statistischen Durchschnittswerten – nicht auf echter individueller Gesundheit.
In meiner strategischen Arbeit an der Schnittstelle von Diagnostik, Prävention und Performance sehe ich immer wieder: Das klassische System erkennt zu spät, was längst biologisch in Schieflage geraten ist. Präventive Präzisionsmedizin beginnt genau hier – mit genauerem Hinsehen, systemischer Diagnostik und einem klaren Verständnis für das persönliche Risikoprofil.
"Die Lücke zwischen statistischer Norm und realem Befinden ist kein Einzelfall – sie ist systemisch", so Dr. Andrea Gartenbach
Normbereiche sind Durchschnittswerte. Sie sagen nichts darüber aus, ob ein Mensch individuell gesund ist – sie sagen nur, dass (noch) keine behandlungsbedürftige Krankheit im klassischen Sinne festgestellt wurde.
Die Lücke zwischen statistischer Norm und realem Befinden ist kein Einzelfall – sie ist systemisch. Denn unser medizinisches System ist auf Krankheitsmanagement ausgelegt, nicht auf Gesundheitsoptimierung. Genau hier beginnt die Arbeit in der präventiven Präzisionsmedizin.
Wir arbeiten anders. Unser Ziel ist nicht die Schadensbegrenzung, sondern die Entfaltung des individuellen Gesundheitspotenzials. Am Anfang steht dabei immer ein umfassendes Profiling. Denn ohne Kenntnis der biologischen Voraussetzungen ist jede Empfehlung ein Schuss ins Blaue.
Medizinisches Profiling ist nicht einfach eine erweiterte Variante der Standard-Blutuntersuchung. Es ist der Versuch, den Menschen in seiner biologischen Gesamtheit zu verstehen – nicht im Vergleich zum Durchschnitt, sondern in seiner individuellen Dynamik.
Ein echtes Gesundheitsprofil zeigt funktionelle Reservekapazitäten, Belastungsmuster und systemische Frühwarnzeichen. Dabei kommen moderne Marker zum Einsatz, die weit über die klassische Labordiagnostik hinausgehen. Dazu gehören zum Beispiel:
Liquid Biopsy: Moderne Analytik zellfreier DNA (cfDNA) oder zirkulierender Tumorzellen – eröffnet neue Möglichkeiten der Früherkennung auf molekularer Ebene, noch bevor strukturelle Veränderungen sichtbar werden.
• Stuhlanalysen inkl. Mikrobiomprofil: Beurteilung der mikrobiellen Diversität, Barrierefunktion und mukosalen Immunantwort – zentral bei Reizdarm, Autoimmunerkrankungen, Immunanfälligkeit und Stimmungslabilität.
In der Praxis begegnen mir häufig Menschen, deren Symptome lange übersehen wurden – nicht, weil sie subtil waren, sondern weil die Standarddiagnostik an Grenzen stößt.
Was diese Menschen eint: Es ist nichts krank im klassischen Sinn. Aber durch präzises medizinisches Profiling werden Zusammenhänge sichtbar: stille Entzündungen, hormonelle Dysregulation, genetische Stoffwechselvarianten oder eine überforderte Stressachse. Und genau hier beginnt echte Prävention – lange bevor Krankheit entsteht.