Jan Hartwig: Wie kocht man drei Sterne?

19. März 2025

Marianne von Waldenfels

  • Food

Jan Hartwig: Wie kocht man drei Sterne?

Jan Hartwig, Überflieger der deutschen Gastronomie, über Herausforderungen in der Küche und die Zutaten seines außergewöhnlichen Erfolgs

Er zählt zu den prägendsten und herausragendsten Köchen der Gegenwart. Nach Stationen bei Christian Jürgens im Restaurant „Kastell“ in Wernberg- Köblitz und bei Klaus Erfort in Saarbrücken wechselte Jan Hartwig 2007 ins „Aqua“ nach Wolfsburg, wo er unter der Leitung von Sven Elverfeld zunächst Chef de Partie und dann Souschef wurde.

Von 2014 bis 2021 arbeitete der Niedersachse als Küchenchef im Restaurant „Atelier“ im Münchner Hotel Bayerischer Hof. In dieser Zeit erhielt das Lokal dank Hartwigs einzigartiger kulinarischer Handschrift den zweiten und bald darauf den dritten Stern. Im Oktober 2022 erfüllte sich Jan Hartwig dann einen lang gehegten Traum. Er eröffnete das „JAN“, sein erstes eigenes Restaurant, wo er mit seinen Gerichten die DNA der deutschen Küche neu interpretiert.

Die Krönung folgte rasch: Innerhalb weniger Monate wurde das „JAN“ mit drei Michelin- Sternen ausgezeichnet und erhielt wenig später auch die Höchstwertung von fünf Kochmützen durch den Gault&Millau.


Als Sie im Mai 2007 das Restaurant „Atelier“ im „Bayerischen Hof“ in München übernommen haben, hatte es bereits einen Stern. Wie groß war der Druck, diesen zu halten?

Der Druck war aushaltbar, ich kam ja als Souschef aus einem 3-Sterne-Restaurant, es war mein Ziel, den Stern zu verteidigen. Ich habe natürlich nicht damit gerechnet, dass ich innerhalb von dreieinhalb Jahren drei Sterne erkoche.


Wie gehen Sie persönlich mit Druck um?

Er gehört zu meinem Job. Ich finde es aber ganz wichtig, dass dieser Druck positiv ist. Ich empfinde Stress als Ansporn, als Motivator. Er pusht mich und treibt mich zu Höchstleistungen. Wenn man Druck als etwas Erdrückendes empfindet, als einen Stein, der auf einem lastet, dann ist das überhaupt nicht gut, und ich glaube, das kann auch niemandem, egal in welcher Branche, zu großem Erfolg verhelfen. Angst ist kein guter Berater.

Ich bin jetzt 42 Jahre alt und habe im Jahr 2000 meine Ausbildung angefangen. Früher waren die Zeiten anders. Da ging es in der Küche viel hierarchischer zu als heute. Und da war der Druck auch ein anderer als der, den ich heute als 3-Sterne-Koch spüre.


Wie groß ist der Sprung vom zweiten auf den dritten Stern?

Groß. Zwei Sterne sind megagut, drei Sterne Weltklasse. Man sollte sich dafür tatsächlich den offiziellen Anspruch der Michelin-Tester durchlesen. Hier wird der Unterschied oder das, was drei Sterne ausmacht, mit den unaufgeregten Worten beschrieben: Das Restaurant ist eine Reise wert – es ist es also wert, dass man sich in Peking, London, Chicago oder auch in Hamburg ins Flugzeug setzt oder in den Zug, um nach München zu reisen und in meinem Restaurant zu essen.


Jan Hartwig über 3-Sterne-Küche

Streng genommen gibt es ja gar keine Sterneköche, sondern nur Sternerestaurants. Wir sind zehn 3-Sterne-Köche in Deutschland, und jeder hat eine unverwechselbare Handschrift. Wenn Sie mir ein Gericht vorsetzen, als Foto oder auch auf dem Teller, dann gehe ich mit Ihnen jede Wette ein, dass ich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann, welcher Kollege das gekocht hat. Bei zwei Sternen kann ich das nicht so genau bestimmen, es sei denn, der Koch hat ganz eigene Teller oder einen komplett charakteristischen Stil anzurichten.


Wird im Restaurant JAN serviert: Bretonische Sardine


Wie ist der Umgang mit den anderen 3-Sterne-Köchen – spürt man da eine gewisse Konkurrenz?

Gar nicht, ich empfinde unser Verhältnis als eher freundschaftlich. Wobei Freundschaft ein großes Wort ist. Schließlich hat man nur drei, vier richtige Freunde im Leben. Wir pflegen einen sehr respektvollen und kollegialen Austausch, spielen uns Mitarbeiter und natürlich auch Gäste zu.

Das Wort Konkurrenz mag ich überhaupt nicht, weil es für mich etwas mit Neid zu tun. Und Neid lehne ich zutiefst ab. Mitbewerber sind wichtig und gut. Wie kann man denn allein einen Marathon laufen? Oder Fußball spielen? Man braucht Mitspieler. Anders würde es doch keinen Spaß machen.


Jan Hartwig: Das macht meinen Erfolg aus

Was sind die wichtigsten Zutaten, um Ihr Niveau zu erreichen und zu halten?

Konstanz, eine einzigartige Handschrift und harte Arbeit. Jeder Tag ist wichtig. Mir wurde nichts geschenkt, ich habe weder ein großes Hotel noch Partner oder Sponsoren im Hintergrund, und trotzdem funktioniert es gut. Das macht mich sehr stolz.


Wie motivieren Sie sich?

Ich möchte jeden Tag besser sein, als ich gestern war. Das ist mein Antrieb, und das ist sicherlich auch das Rezept für die Geschwindigkeit meines Erfolges. Ich bin ein Mensch, der umtriebig ist, und der an der eigenen Entwicklung nicht nur interessiert ist, sondern auch Spaß hat.

Ich stelle mich immer wieder in Frage, mein Team kann ein Lied davon singen. Wenn ich ein Gericht seit acht Wochen auf der Karte habe, zum Beispiel Taubenbrust, und jeder weiß, heute ist der vorletzte Tag, an dem wir dieses Gericht schicken, weil wir es nächste Woche ändern, dann ist es trotzdem schon ein paarmal passiert, dass ich sage, wir richten es jetzt anders an für die restlichen Tage, weil mir etwas Neues eingefallen ist.

Nichts im Leben ist schlimmer als dieser alte Spruch: Das haben wir schon immer so gemacht. Ich finde es ganz furchtbar, wenn Menschen nicht in der Lage sind, sich selbst zu reflektieren.


Lassen Sie sich von Trends beeinflussen?

Trends zu folgen, bedeutet ein Fähnchen im Wind zu sein. Durch Nachahmen entsteht nichts Eigenes. Aber ich bin immer interessiert daran, etwas besser zu machen. Stillstand ist Rückschritt. Ich war ja sieben Jahre im „Aqua“, und dort auch maßgeblich an der Rezeptentwicklung und den kreativen Prozessen beteiligt.

Als ich weggegangen bin, haben viele gesagt: Der muss sich jetzt erst mal von Sven Elverfeld freischwimmen und seinen eigenen Stil finden. Ich habe dann im „Atelier“ ganz bewusst Produkte gewählt, die es während meiner Zeit im „Aqua“ gar nicht oder nur ganz selten gab, zum Beispiel Kaninchen oder Wachtel. Ich wollte von Anfang an Jan Hartwig sein und nicht der Abklatsch eines anderen Sternekochs.


Bei einigen Sterneküche hat man oft den Eindruck, dass die Optik im Vordergrund steht, bei Ihnen …

… kommt zuallererst der Geschmack. Natürlich habe ich einen visuellen Anspruch. Der Teller muss schon sehr, sehr schön aussehen, aber beim Geschmack werden nie Abstriche gemacht. Die richtige Temperatur ist auch ausschlaggebend. Ich mag es überhaupt nicht, wenn, Gerichte, die heiß sein sollen, lauwarm serviert werden. Ich bin da sehr pedantisch.

Jan Hartwig: „Der Teller muss schon sehr, sehr schön aussehen.“ Hier: Spanferkel, Trüffel und Topinambur


Auch das Team spielt im Fine Dining eine bedeutende Rolle.

Natürlich. Die Küche ist ein autoritärer Ort, das muss man ganz ehrlich sagen. Aber mir ist Respekt auf Augenhöhe wichtig, und eine gewisse Empathie. Das lebe ich auch vor. Denn wie kann man für einen in die Bresche springen und Höchstleistungen bringen, der nur am Rand des Spielfelds steht oder in der Küche Kommandos erteilt und alle schlecht gelaunt zusammenfaltet?


Teamwork in der Sterneküche

Ich bin auch meistens der erste, der nach Hause geht, nachdem ich alle Gerichte geschickt und mich von den Gästen verabschiedet habe, weil ich danach noch ein oder zwei Stunden brauche, um den Tag aufzuarbeiten, Rezepte zu schreiben, neue Kreationen zu entwickeln und Bestellungen zu erledigen. Das mache ich allein im Stillen, wenn meine Frau und meine Tochter schlafen und ich eine große Runde mit meinem Hund gegangen bin.


Ihr Vater ist ebenfalls Koch, Sie sind früh mit der Gastronomie in Berührung gekommen und haben einmal gesagt, dass die Bücher von Eckart Witzigmann für Sie genauso wichtig gewesen seien wie für andere die sieben Bände der Harry-Potter-Reihe.

In meiner Jugend waren Köche wie Eckart Witzigmann oder Harald Wohlfahrt für mich Lichtgestalten. Sie haben Pionierarbeit geleistet und ich habe sie dafür bewundert, alle ihre Bücher und jeden Artikel über sie gelesen. Schon während meiner Ausbildung war es mein größter Traum, einmal in einem 3-Sterne-Restaurant zu arbeiten. Leider habe ich nie bei Eckart Witzigmann gegessen, doch wir haben heute ein gutes Verhältnis und einen regen Austausch.


Beeinflusst eigentlich Social Media Ihre Arbeit?

Wenn man früher wissen wollte, wie ein Koch arbeitet, hatte man zwei Möglichkeiten: Man hat in seinem Restaurant gegessen oder sein Kochbuch gekauft. Heute kann man alles auf Instagram sehen. Das ist ein bisschen schade.


In welchem Spitzenrestaurant haben Sie als Nächstes reserviert?

Im „Pléntitude“ in Paris, das 3-Sterne-Restaurant meines Kollegen Arnaud Donckele, das sich im Hotel „Cheval Blanc“ befindet. Es muss spektakulär sein. Ich kenne keinen, der nicht restlos begeistert aus dem Laden rausgegangen ist. Dort habe ich nächstes Jahr eine Reservierung, und ich freue mich jetzt schon riesig darauf.

„Schon während meiner Ausbildung war es mein größter Traum, einmal in einem 3-Sterne-Restaurant zu arbeiten,“ erklärt Jan Hartwig

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