Das menschliche Kniegelenk ist ein hochkomplexes mechanisches Konstrukt. Vier Knochen treffen hier zusammen: Oberschenkel, Schien- und Wadenbein und die Kniescheibe. Gemeinsam bilden sie – funktionell gesehen – drei Gelenke: das innere und äußere Gelenk zwischen Oberschenkel und Unterschenkel sowie das Gelenk zwischen Oberschenkel und Kniescheibe. Alle Teilgelenke können zumindest theoretisch einzeln durch Kunstgelenke ersetzt werden.
Das Kniegelenk lässt sich wie ein Scharnier beugen und strecken, ermöglicht aber auch Drehbewegungen im gebeugten Zustand. Seiten-, Innen- und Kreuzbänder sowie die starke Muskulatur verleihen dem Kniegelenk trotz langer Hebelverhältnisse seine Stabilität. Eine knöcherne Führung, wie es sie beispielsweise beim Hüftgelenk gibt, ist hingegen nicht vorhanden.
Rund 150.000 Menschen in Deutschland entschieden sich 2015 für ein künstliches Knie. Der Eingriff sollte gut überlegt sein, aber auch nicht zu lange hinausgezögert werden. Denn je weiter die Arthrose fortgeschritten ist, desto technisch anspruchsvoller ist es, ein neues Gelenk einzupassen. Zudem gehen im Krankheitsprozess funktionelle Fähigkeiten wie Kraft, Beweglichkeit und Gangsymmetrie verloren, was das operative Vorgehen wie auch die Nachbehandlung erschwert.
1. Oberschenkelknochen (Femur), 2. Femurkomponente (aus Metall), 3. Kniescheibe, 4. Kunststoffauflage, 5. Tibiakomponente (aus Metall), 6. Schienbein
1. Oberschenkelknochen (Femur), 2. Kniescheibe, 3. Zwei Knorpelscheiben (Menisken), 4. Schienbein
Je nach funktionellem Zustand des betroffenen Gelenks (v. a. des Bandapparats), Alter und Gesundheitszustand des Patienten sowie weiteren Faktoren können Ärzte ihren Patienten unterschiedliche Prothesenmodelle anbieten. Die Möglichkeiten reichen vom Teilersatz bis zur achsenstabilen Vollprothese:
• einseitiger (unikondylärer) Oberflächenersatz, auch Schlittenprothese genannt
• kompletter (bikondylärer) Oberflächenersatz, auch Kniegelenks-Totalendoprothese bzw. Knie-TEP genannt
• vollständiger Kniegelenksersatz mit einer achsgeführten, gestielten Prothese
In Deutschland implantieren Ärzte ihren Patienten jährlich etwa 150.000 Totalendoprothesen (TEP). Damit ist die Knie- nach der Hüft-TEP die zweithäufigste Prothese, bei der das Gelenk komplett ersetzt wird. Die am häufigsten verwendeten Modelle, die auch die besten funktionellen Ergebnisse liefern, benötigen den erhaltenen, funktionsfähigen Bandapparat des Patienten. Der operative Eingriff dauert im Idealfall etwa 45 bis 60 Minuten.
Von einer Schlitten- oder Teilprothese sprechen Fachleute, wenn nur eine Hälfte des Kniegelenks ersetzt wird. Diesen Gelenkersatz wählt der behandelnde Arzt, wenn beispielsweise aufgrund einer Fehlstellung (O- oder X-Bein) das Gelenk einseitig nur auf der Innen- oder Außenseite arthrotisch verändert ist. Meist ist der innen gelegene Anteil betroffen. Die restlichen Anteile des Kniegelenks müssen für diesen Prothesentyp noch in sehr gutem Zustand sein. Eine Schlittenprothese kommt auch nur dann infrage, wenn der stabilisierende Bandapparat vollständig erhalten und funktionsfähig ist.
Bei einigen Patienten kommen die bisher erwähnten Prothesen nicht infrage, weil das Knie nach dieser Art des Ersatzes nicht mehr stabil genug wäre. Dafür gibt es folgende Gründe:
• Der Knochen ist durch Erkrankungen wie Knochenschwund (Osteoporose) schon sehr geschwächt.
• Die Beinachse weicht infolge von Beinfehlstellungen (O-, X-Beine) massiv von ihrer Idealstellung ab.
• Die Seiten- und Kreuzbänder sind beispielsweise nach einem früheren Unfall oder bei einer Wechseloperation instabil.
In diesen Fällen steht dem Operateur eine sogenannte achsgeführte (gekoppelte) Kniegelenks-Endoprothese zur Verfügung. Hier übernimmt das Implantat die Aufgabe der Bänder: Ober- und Unterschenkelanteil der Prothese sind durch eine Achse verbunden und zusätzlich jeweils mit einem langen Schaft versehen, den der Arzt sicher im Knochen verankern kann.
Achsgeführte Kniegelenks-Endoprothesen stellen dabei immer einen Kompromiss dar: Sie bieten zwar Stabilität und sichere Verankerung, haben aber funktionelle Nachteile, da die Beweglichkeit des Knies damit eingeschränkt ist.
Auch das wichtige Gelenk zwischen Kniescheibe und Oberschenkel kann bei Abnutzung starke Schmerzen verursachen, beispielsweise beim Treppabgehen direkt hinter der Kniescheibe. Während einer Kniegelenks-Endoprothesenoperation
wird der Zustand der dortigen Gelenkflächen immer geprüft. Abhängig vom Befund kann der Operateur entscheiden:
• Er entfernt die arthrotisch veränderte Gelenkfläche auf der Rückseite der Kniescheibe und ersetzt sie durch ein Kunststoffimplantat aus Polyethylen.
• Er führt eine sog. Gelenktoilette durch und entfernt Knochensporne und -leisten sowie sonstiges störendes Gewebe.
• Er braucht keine operativen Maßnahmen an der Kniescheibenrückfläche zu ergreifen.
Neben komplett vorgefertigten Prothesenmodellen in unterschiedlichen Größen bieten einige Hersteller seit ein paar Jahren individuell geformte Prothesen an. Der Begriff umfasst verschiedene Varianten. Zum einen gibt es spezielle Prothesen für Frauen, die den geometrischen Anforderungen des weiblichen Kniegelenks Rechnung tragen sollen.
Außerdem können Operateure auf maßgeschneiderte Prothesen zugreifen, die exakt den anatomischen Vorgaben des einzelnen Patienten angepasst sind. Diese „Endoprothese nach Maß“ wird in mehreren Schritten hergestellt: Zunächst fertigt ein Radiologe eine spezielle Computertomografie (CT) von der Hüfte bis zum Fuß an, um neben der Anatomie des Kniegelenks auch die Beinachsen exakt zu erfassen. Auf Basis der ermittelten Daten wird mithilfe einer Software ein räumliches Modell des Kniegelenkersatzes konstruiert. Es berücksichtigt die individuelle Form des Gelenks ebenso wie das Verteilungsmuster der Arthrose. Die Daten schickt der Arzt an den Hersteller, der innerhalb von 4 bis 8 Wochen die individuellen Schablonen und Werkzeuge sowie die Prothese fertigt. Die Vorstellung, dass die individuelle Kniegelenks-Endoprothese durch ihre bessere Passgenauigkeit länger hält und besser funktioniert, konnte bislang noch nicht durch ausreichende Daten bestätigt werden.
Für eine lange Haltbarkeit und gute Verträglichkeit müssen Endoprothesen diverse Anforderungen erfüllen: Sie müssen sich ideal im Knochen verankern lassen. Die verwendeten körperfremden Substanzen dürfen keine Unverträglichkeitsreaktionen erzeugen und müssen korrosionsbeständig sein. Und: Das Gleiten der künstlichen Gelenkflächen soll zu möglichst wenig Abrieb führen, da dieser das umliegende Gewebe schädigen kann. Bei der Herstellung von Endoprothesen kommen Metalle (Titan, Edelstahllegierungen), Kunststoffe (Polyethylen) und Keramik zur Anwendung.
Der endoprothetische Ersatz des Kniegelenks findet unter Vollnarkose oder in einer sogenannten Rückenmarksnarkose statt, bei der Schmerz und Empfindung im OP-Gebiet ausgeschaltet sind, der Patient aber bei Bewusstsein ist. Die Entscheidung darüber trifft der Narkosearzt (Anästhesist) im Vorgespräch gemeinsam mit dem Patienten. Nach Lagerung und Desinfektion wird das Gelenk durch einen Längsschnitt über die Vorderseite des Knies freigelegt. Beim Vordringen in Richtung Gelenk werden Muskeln, Sehnen und Bänder geschützt.
Die defekten Gelenkflächen werden entfernt und der Knochen so präpariert, dass die künstlichen Gelenkanteile stabil verankert werden können. Dafür nutzt der Operateur spezielle Schablonen. Sie helfen ihm, den Knochen im passenden Umfang für das Implantat abzutragen. Das in der Operationsplanung festgelegte Prothesenmodell wird eingebracht und auf seine Funktionsfähigkeit überprüft. Dabei sind vor allem die Faktoren Stabilität und Beweglichkeit für die spätere Zufriedenheit des Patienten im Alltagsleben und die Haltbarkeit des Kunstgelenks von entscheidender Bedeutung. Die neuen Komponenten werden sodann entweder passgenau in die präparierte Oberfläche eingepresst oder mit sogenanntem Knochenzement (Acrylharz, Polymethylmethacrylat) verankert.
Aus der Bauch- oder Wirbelsäulenchirurgie und anderen Einsatzgebieten ist der Begriff des minimalinvasiven operativen Eingriffs („Knopflochchirurgie“) bekannt. Der Wunsch der Patienten nach möglichst kleinen, kosmetisch attraktiven Narben ist groß. Auch in der Kniegelenkschirurgie haben sich arthroskopische Verfahren beispielsweise für Meniskus- und Kreuzbandoperationen durchgesetzt, nicht aber in der Endoprothetik. Denn kleinere Hautöffnungen bieten dem Operateur weniger Sicht, eine schlechtere Orientierung und eine schwierigere Blutstillung. Jeder Operateur trifft deshalb für sich die Entscheidung, wie klein oder groß er die Hautöffnung wählt.
Navigationssysteme für die Endoprothesenchirurgie gibt es etwa seit dem Jahr 2000. Über Infrarotkameras bekommt der Operateur exakte Informationen zu den individuellen Gegebenheiten des Patienten, wie über die optimale Positionierung der Schnittebenen, die dreidimensionale Ausrichtung der Prothesenkomponenten und die Tiefe der Knochenresektion. Navigationssysteme sind mit Abweichungen von 0,5° bzw. 0,5 mm genauer als das menschliche Auge oder konventionelle Instrumente. Sie haben aber auch ihre Nachteile: Die Operation damit dauert länger, und der technische Aufwand ist größer.
Schon am ersten Tag nach der Operation wird das operierte Kniegelenk vorsichtig durch einen Physiotherapeuten oder mithilfe einer motorbetriebenen Schiene bewegt. Gleichzeitig beginnt die Gangschulung mit Unterarmgehstützen oder Rollator.
Der Klinikaufenthalt beträgt durchschnittlich etwa sieben Tage, bei Komplikationen oder nach einer Prothesenwechseloperation auch länger. An den Klinikaufenthalt schließt sich eine mehrwöchige Rehabilitation an.